Für einen

 

 

Die Andern sind das weite Meer.

 

Du aber bist der Hafen.

 

So glaube mir: kannst ruhig schlafen,

 

Ich steure immer wieder her.

 

  

                                    Denn all die Stürme,

 

                                          die mich trafen,

 

Sie ließen meine Segel leer.

 

Die Andern sind das bunte Meer,

 

Du aber bist der Hafen.

 

 

 

Du bist der Leuchtturm. Letztes Ziel.

 

Kannst Liebster, ruhig schlafen.

 

Die Andern…das ist Wellenspiel,

 

Du aber bist der Hafen. 

 

Mascha Kaléko

 

 

 

 

 

 

                                                                                                     

 

 

Predigt Literaturgottesdienst 2018-Cornelia Elke Schray

 

Jag die Ängste fort – Sorgt euch nicht um euer Leben

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

Wer war Mascha Kaléko?

 

Mascha Kaléko wurde als Golda Malka Aufen am 7. Juni 1907 in Charzanow, heute Polen als erstes Kind des jüdisch-russischen Kaufmanns Fischer Engel und seiner späteren Ehefrau der österreichisch-jüdischen Rosalia Chaja Reisel Aufen geboren. Die Mutter zog mit ihren beiden Töchtern 1914 nach Deutschland.

 

1928 heiratete Mascha, so ihr Kosename, der ihr blieb, Saul Aaron Kaléko und veröffentlichte 1929 erste Gedichte.

 

Ihre Bücher wurden von den Nationalsozialisten verboten. Die Familie wanderte 1938 in die USA aus. Ihr Lebensweg führte sie von dort zurück nach Deutschland, nach Jerusalem und in die Schweiz. Sie starb am 21. Januar in Zürich und ist dort auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.

 

»Man hat Mascha Kaléko verglichen mit Morgenstern, Kästner, Ringelnatz, aber das trifft es nicht. Sie hat deren Verspieltheit und Sprachwitz, aber es kommt ein Sehnen hinzu, eine zarte Zerbrechlichkeit, die den Atem nehmen kann …« So aus einer Tageszeitung.

 

Soviel in aller Kürze zu ihrem Leben. Einsamkeit, fragende Sehnsüchte, die Not vieler Mitmenschen, die in dieser Zeit lebten, bestimmten auch ihr Denken und Fühlen.

 

Und diese Frau schreibt ein Gedicht, das zu den wirklichen Glanzlichtern der Lyrik im 20. Jahrhundert gehört und vielen Menschen geholfen hat.

 

Ich lese Ihnen das Gedicht „Rezept“ und wer will, kann leise von seinem Blatt mitlesen:

 

Rezept

Jage die Ängste fort.

Und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
Wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten
Und der Anzug im Schrank.

Sage nicht mein.

Es ist dir alles geliehen.
Lebe auf Zeit und sieh,
Wie wenig du brauchst.
Richte dich ein.
Und halte den Koffer bereit.

Es ist wahr, was sie sagen:

Was kommen muss, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen.
Und ist es da,
Sieh ihm still ins Gesicht.
Es ist vergänglich wie Glück.

 



Erwarte nichts.

Und hüte besorgt dein Geheimnis.
Auch der Bruder verrät,
Geht es um dich oder ihn.
Den eignen Schatten nimm
Zum Weggefährten.

Feg deine Stube wohl.

Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn.
Flicke heiter den Zaun
Und auch die Glocke am Tor.
Die Wunde in dir halte wach
Unter dem Dach im Einstweilen.

Zerreiß deine Pläne. Sei klug

Und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
Im großen Plan.
Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.

 

 

 

Wird sie nicht mit diesen Zeilen zum Salz in der Buchstabensuppe dieser Welt? Ein Licht auf dem Berg, von dem Jesus spricht. Mascha Kaléko ist keine Christin und dringt damit doch in der Tiefe, an die Wurzel christlichen Denkens und Hoffens vor und liefert ein Rezept für das Leben.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

was haben Sie heute alles schon erledigt? Augen auf, zur Uhr geblickt oder das Morgenläuten gehört, aufstehen, die Kaffeemaschine angeschaltet, die Zeitung aus dem Briefkasten geholt und das Radio angeschaltet. So oder so ähnlich sind unsere Morgenrituale. Und allein das kann übel Angst einjagen. Das Bild vom Unfall auf der A8 auf der Titelseite und was macht Donald Trump jetzt schon wieder? Wie werden unsere Kinder leben? Brauchen sie sowas wie eine Arche Noah, um zu überleben? „Es ist total normal, dass heute nichts mehr normal ist, dass nichts rational ist, der Wahnsinn regiert, alles total normal.“ Hörte ich am 21. Juli auf der Kapfenburg von Johannes Oerding, der leise fragt: „Wo sind die weißen Tauben hin?“ Halt Gedankenstopp….

 

„Wir haben keine andere Zeit als diese.“ Stellt M.Kaléko immer mal wieder fest. Leben hier und heute, mit allem.

 

Jag die Ängste fort. Und die Angst vor den Ängsten. Für die paar Jahre wird es wohl noch reichen, das Brot im Kasten und der Anzug im Schrank.

 

In den Worten Jesu. „Sorgt euch nicht um euer Leben. Was ihr essen und trinken werdet. Auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als Nahrung und der Leib mehr als Kleidung?“

 

Sorgt nicht. Weil es für die paar Jahre sicher noch reicht. Dabei ist Sorge tragen, Sorge haben, nicht per Definition schlecht. Für jemanden Sorge tragen, ihn umsorgen, etwas besorgen, sich in christlicher Nächstenliebe um jemanden bemühen, mit Mühe, sich kümmern,

 

erstmal ohne großen Kummer, ist gut. Es wäre Leichtsinn und Verantwortungs-losigkeit täten wir das nicht. Sorge hat zwei Gesichter. Das war das eine. Das andere ist: Das Kümmern wird zum Kummer. Die Sorge wird zur Angst, schwer, wie ein Stein auf der Brust, ein Schatten auf der Seele.

 

Jeder vierte Deutsche hat, bis er stirbt, irgendwann eine Angststörung, die ihn beeinträchtigt. In einem Land, das gut aufgestellt ist im internationalen Vergleich, fragt sich fast jeder, ob er denn etwas verpasst hat mit seiner Vorsorge.

 

Für die Sorgen, die zur Angst werden, gilt. Jag sie weg. Sorg nicht. Vielleicht gelingt das mit einem Blickwechsel.

 

Sag nicht mein. Es ist dir alles geliehen. Sieh, wie wenig du brauchst.

 

Mensch, guck mal. Es gehört dir nicht wirklich was. Du leihst dir das Glück des Waldes aus, von der Schöpfung. Die Freude an dem schönen Haus ist okay, aber das Haus ist ein Schatz dieser Erde, nicht des Himmels und der Ewigkeit. Jesus spricht in Matthäus 6, 20 davon. Lebe auf Zeit. Koste die Zeit aus, es ist diesseitige Zeit, nicht jenseitige.

 

Mensch guck mal. Schau die Lilien auf dem Feld. Das ist Herrlichkeit und das beste Kleid, nur ein Abglanz. Lass los. Sorg dich nicht. Selbst das Gras auf dem Feld, es ist wunderschön, aber anders als deine Krawatte.

 

Mensch, guck mal, hier ist dein Brot. Weniger ist mehr. Verschwenden ist Schuld. Die Vögel säen nicht, sie sammeln nicht. Aber sie finden Nahrung. Sie können nicht anders als Gott vertrauen. Vor-Sorge tragen ist gut, aber Gott zu trauen, Vertrauen zu haben, ist als Basis für ein gutes Leben, ohne Angstkrankheit, besser, unerlässlich.

 

Es kommt eh, wie es kommt.

 

Geh dem Leid nicht entgegen. Ist es da... So schreibt Mascha Kaléko, sieh ihm ins Gesicht. Das Leid ist da, du musst es nicht heraufbeschwören, ihm nicht entgegengehen.  Es kommt und zieht vorüber. Es ist vergänglich. Glück und Leid haben keinen Bestand.

 

Aber unser himmlischer Vater, der weiß, was wir brauchen.

 

Erwarte nichts. Der Bruder verrät, geht es um dich, oder um ihn.

 

Über diesen Satz habe ich lange nachgedacht. Für mich bedeutet er: Im See des Lebens von Glück und Leid, ist es entscheidend, ob ich um mich selbst kreise und damit dem Herrn der panischen Angst diene oder eben nicht. Geht es um mich, oder kann ich den Blick aus den Wellen, dem drohenden Untergang heben und den Menschen neben mir sehen. Der Bruder verrät es…ob ich dem Herrn der Liebe, des Vertrauens diene, im Sumpf der Sorge untergehen werde, oder in Gemeinschaft mit anderen lebe.

 

Den eigenen Schatten nimm zum Weggefährten.

 

Für die Hobbypsychologen unter uns, ist das der, in der Seele springende Punkt. Wir sind mit unseren Dunkelheiten unterwegs. Wir sorgen. Wir verjagen die Angst nicht oft genug. Wir vertrauen nicht wie die Vögel. Das können wir auch nicht - auf dieser gefallenen Welt. Damit sind wir überfordert. In dieser Welt haben wir Angst.  Nicht sorgen? Vergessen Sie es. Aber leben Sie bitte in dem Bewusstsein, dass es eben der Schatten ist und nicht das Licht, und halten sie Ihre Nase ins Licht Gottes. Jeden Morgen

 

Feg deine Stube wohl und tausche den Gruß mit dem Nachbarn. Flicke heiter den Zaun.

 

Mensch, zwischen Ängsten und Sorgen, zwischen Licht und Schatten, ist es gut und heilsam, wenn du deine Angelegenheiten in Ordnung hältst, im Angesicht des uns erwartenden Todes, einen Baum pflanzt und eben so mit deinen Nachbarn lebst, dass du sie grüßen kannst. Ohne Groll.

 

Die Wunde in dir halte wach unter dem Dach im Einstweilen.

 

Und was soll das jetzt? Wunden wachhalten? Im Einstweilen, also im Vorläufigen und unter dem Dach des „zunächst einmal“. Wer sich mit 20 Jahren den Unterarm bricht, kann das noch Jahrzehnte später auf einem Röntgenbild sehen. Oder: Eine schlimme Kindheit ist wie ein böser Feind, man weiß nie, wann er wieder zuschlägt. Der Schatten als Weggefährte. Die wache Wunde. Beides von Gott mit Liebe umhüllt, dem der sich nach seinem Reich sehnt, danach trachtet, wie in Vers 33 heißt. Die Wunden dieser Welt, mein Gott, sie sind einstweilig, vorläufig, diesseitig, sie dürfen pieken, können uns wach und lebendig halten, uns sehnen lassen nach einer anderen Zeit, in der das Dach des Einstweilen gesprengt wird und wir in den Himmel sehen.

 

Zerreiß deine Pläne. Sei klug und halte dich an Wunder.

 

Sorgt euch nicht für morgen. Gib den Plan, den du hattest ins Altpapier. Sei offen für das, was kommt.       Denn der morgige Tag? Es wird für ihn gesorgt. Das Reich Gottes, das uns ständig umsorgt und über uns kommt, es ist lebendig, kraftvoll, anders als menschliche Weisheit. Es ist das Wunder, an das zu halten uns hilft und heilt.

 

Zerreiß deine Pläne. Vielleicht hat sonst dieses schmetternde „Jage die Ängste fort“ einfach keine Chance.

 

Hier und heute gilt es zu leben. Auch wenn die Vergangenheit in jedem Augenblick gegenwärtig ist, sie ist vergangen. Es kommt die Zukunft, und das große „Ja aber“. Wir werden sterben. Das ist doch der größte Grund für Angst.

 

 In einem Comic sagt Charlie Brown zu Snoopy ganz verzweifelt: „Eines Tages werden wir alle sterben.“ Und Snoopy antwortet: „Ja, aber an allen anderen Tagen nicht.“

 

Sorgt nicht. Wir sterben nur an einem einzigen Tag. Wir können getrost bedenken, dass das so ist, klug werden, weil wir das wissen. Angst und Depression auch als Krankheit wahrnehmen und behandeln, aber eins gilt:

 

Die Angst vor dem Tod, dem Ende, wird uns den Tod niemals ersparen, aber sie nimmt uns das Leben. „Wer ist aber unter euch, dass er der Länge seines Lebens eine Elle zusetzen könnte, so sehr er sich auch bemüht?“ Fragt Jesus. Mascha Kaléko stellt in ihrem kurzen Gedicht „Gute Vorsätze“ fest:

 

„Morgen“, sage ich, „morgen“! „Übermorgen!“ sogar.

 

Bald ist das Leben vorüber, ohne dass je morgen war.“

 

 

 

Sieh, wie wenig du brauchst. Sieh dem Leid still ins Gesicht. Sagt Mascha Kaléko. Selbst das vergeht.

 

Halte dich an Wunder. Sie sind lang schon verzeichnet im großen Plan.

 

Die flüchtende, bedrohte Mascha Kaléko ist davon überzeugt, dass es einen großen Plan für jedes Leben gibt.

 

Sie schreibt und lebt, dass es einen himmlischen Vater gibt, der weiß, was wir brauchen.

 

Der morgige Tag ist Teil des großen Plans und alle Tage danach auch.

 

Aber nein, wir reden hier nicht von einem, alles in allem schon vorherbestimmten göttlichen Konzept, an dem eh nix zu rütteln wäre. Wir reden hier nicht von einem Gott, der in grauer Vorzeit einmal gewürfelt hat und nun alles vorgegeben ist.  Das ist Menschenlogik. Wir reden davon, dass Pläne, die manchmal sinnlos sind, durch Wunder ersetzt werden können. Sorgt nicht. Sag deinen Ängsten gute Nacht und schließe die Augen, um zu schlafen.

 

Im großen Plan können wir geborgen sein. Wir wissen nicht, wie lange die paar Jahre noch sein werden. Dieser vergängliche Leib ist uns geliehen. Wir sind Vorübergehende und Gott unendlich viel wert, seine kostbaren Menschen.

 

Vertrauend betet Mascha Kaléko deshalb:

 

Herr, lass mich werden, der ich bin.

 

In jedem Augenblick.

 

Und gib, dass ich von Anbeginn

 

Mich schick in mein Geschick.

 

Ich spür, dass eine Hand mich hält…

 

 

 

Ich spür` daß eine Hand mich hält…deshalb, immer neu, von ganzem Herzen und wer es selbst nicht mehr kann, bitte andere darum, es vorzusagen:

 

Sorge nicht.

 

Jag die Ängste fort.

 

Zerreiß deine Pläne und sehne dich nach dem Reich Gottes.

 

Vertraue seinen Wegen.

 

Sei klug und halte dich an Wunder.

 

Amen.

 

Stille