Predigt 18.04. 21,  Prädikantin Cornelia Schray

Hüten ist Chefsache

Liebe Gemeinde!

Seit ich vor knapp fünfzehn Jahren vom Schwarzwald auf die Schwäbische Alb umgezogen bin, gehört ein Bild zu meinem Alltag. Friedlich weidende Schafe. Mal mit Zaun, mal von einem Schäfer und seinen Hunden bewacht, aber nie ganz allein ohne Schutz.

Was wäre, wenn ich eine Herde sehen würde, die unbehütet auf einer Straße umherirrt? Womöglich noch mit kleinen Lämmern, laut blökend? Ich würde stehenbleiben, anhalten, versuchen herauszufinden, was los ist. Den Schäfer suchen. Die Polizei anrufen. Das Schlimmste verhindern. Das idyllische Bild, das sonst so gern für wohlige Seufzer und Märchenbuchgefühle sorgt, wäre beschädigt.

Finde den Fehler! Schafe müssen gehütet werden. Was ist nur geschehen?

Ich lese den Predigttext aus Hesekiel 34, 1-2, 10-16, 31

In unserem Text „Die schlechten Hirten und der rechte Hirt“ wird gleich zu Beginn in Vers 2 diese Frage aufgeworfen. „Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?“ „Wehe den Hirten, die sich selbst weiden!“ Oder um es in unsere Zeit zu übertragen. Bitte liebe Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, liebe Verantwortliche in Gesellschaft und Politik.

Ihr sollt die euch Anvertrauten mit Liebe und Güte, mit Weisheit und Verstand „weiden“, dafür sorgen, dass sie nicht unter die Räuber fallen, unter die Räder kommen und hoffnungslos Schaden nehmen an Leib und Seele.

 Ja, da war dieser Tag, an dem das mit der abgesagten Osterruhe als Eilmeldung durch die Medien jagte und man sich verwundert die Augen rieb. Der Tag, an dem ich als Mutter mit meinem von Zuhause studierendem Sohn vor den Nachrichten saß und mir nur noch einfiel: Echt jetzt? Und woher soll das Land jetzt  wissen, was gilt? Wer Kinder hat, wer in der Erziehung tätig ist weiß:

Werden die Regeln nicht mehr nachvollziehbar, macht ganz schnell keiner mehr wirklich mit. (Im Scherz diskutieren wir die Frage in der Familie, ob das Corona-Virus in unserem Eglingen anders ist als im benachbarten Amerdingen. Wenn ja, ist es doch deutlich gefährlicher als wir bisher wissen.) Wer aber soll sich das alles merken?

Das Volk. Wir. Wir sind die Schafe. Man muss sie nicht mögen, aber in der Sprache der Bibel sind wir es.

Die Sache mit dem guten Hirten geht in unserer Kultur so tief, dass im letzten Wahlkampf ein Plakat auffiel mit der Frage: Wollen wir nicht alle beschützt werden?

Das geht doch nicht, wenn der eine Hütehund die Herde nach links treibt und der andere nach rechts, sie zerstreut wird, weil der gute Hirte eigentlich ein Wolf im Schafspelz ist.

Die anvertrauten Menschen mit Herz und Verstand hüten…nicht verwirren.  Also Augen auf und ran an die Arbeit. Ohne Ausreden.

Kleinliche Befindlichkeiten zurückstellen für das große Ganze.  Jetzt gilt es. Das ist hier kein Film, bei dem man notfalls umschalten kann, das ist echt. Leben im Frühjahr 2021. Verantwortung. Fürsorge. Nicht Wahlkampf.

Andernfalls sind die Worte im Buch des Propheten Hesekiel, was das angeht schonungslos, „Spricht Gott der Herr: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen.“ Das ist Trost und Ansage zugleich. Diese menschlichen Hirten, die menschlich versagen, haben nicht das letzte Wort. 

Wir sind dem Treiben auf dieser Welt nicht ausgeliefert, weil über allem Gott steht. Er lässt über sich selbst sagen und schreiben, „ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen.“ Bei diesen Worten darf man sich wirklich berührt ans Herz fassen. Bei diesen Worten denke ich an meine Großmutter, die mich mit einem vorgelebten „bissle hüten“ lehrte, am Abend, in der Unruhe des Tages verirrte Babys, stundenlang in den Armen zu wiegen, zu halten. Wie furchtbar ist es, wenn Krieg und Vertreibung, Hunger und Gewalt, Mütter daran hindern, Hüterinnen ihrer Kinder zu sein. 

Denn Hüten ist Chefsache. Da steht nicht, dass Gott einen namentlich bekannten Engel losschickt für die verirrte Menschenherde. Da steht über den Schöpfer des Himmels und der Erde, dass er selbst sucht.  Das ist einer der Gründe, warum wir abends einfach loslassen dürfen, um die Sorgen dieser Welt für ein paar Stunden zu vergessen. Selbst wenn die Mächtigen dieser Welt richtig daneben liegen, geblendet von falschen Eitelkeiten und dem „sich selbst weiden“, diese Welt ist nicht sich selbst überlassen.

Damit reiht sich dieser Text ein, in all die anderen Erzählungen und Bilder, die das Bild des guten Hirten für die einfachen Menschen, zu denen wir bei Licht betrachtet alle gehören, aufgreifen, um in erster Linie zu trösten und zum Vertrauen ermutigen. Unter ihnen Psalm 23, der in seiner Breite und Tiefe einer der wichtigsten Texte der Bibel ist. Wir haben ihn als Psalm gebetet. Er ist auf Platz 1 der Beerdigungstexte, er trägt noch am Telefon gesprochen durch die Nacht.

Genauso wie in diesem Psalm ausdrücklich ausgeführt ist, wie dieses behütete Leben als Schaf, als Geschöpf aussieht, schildert Hesekiel 34 das in den Versen 12-15 in einer sehr wohltuenden Sprache.

Was verloren ist, findet an der Hand des guten Hirten nach Hause. Was verirrt ist, wird zurückgebracht in die Stille der Geborgenheit in Gottes Armen. Was verwundet und verletzt ist von Schlägen dieser Welt, wird verbunden und geheilt. Im Schwachen wird Gottes Stärke sichtbar und mächtig. 

In einem, nicht zum Predigttext, aber zum Kapitel gehörenden Vers, finden wir einen Hinweis auf den Eckstein unseres Glaubens, Jesus Christus. „Ich will ihnen einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein, und ich der Herr, will ihr Gott sein.“ Vers 23

 

„Weil ich Jesu Schäflein bin, freu' ich mich nur immerhin über meinen guten Hirten, der mich wohl weiß zu bewirten, der mich liebet, der mich kennt, und bei meinem Namen nennt.“ (Henriette Maria Luise von Hayn, 1778) So in diesem alten Lied von 1778, das auch heute noch am Bett eines Kindes, einer Kranken seine schlichte Kraft entfaltet, gerade in einer Welt und Zeit, in der die schlechten Hirten täglich, die längst nicht mehr guten Nachrichten bestimmen.

Ich habe es nie erlebt in all den Jahren, dass eine Schafherde ungeschützt und unbewacht meine Wege gekreuzt hat. Wie gut. Die Anblicke sind tief in mich eingesunken und erinnern mich jedes Mal an den guten Hirten, an den wir glauben und aus dem wir leben. 

Über den Wunsch „Sei behütet“, der im Jahr 2020 so greifbar wohltuend wurde, freue ich mich immer sehr.

„Ja. Ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr.“ 

Das gilt in Zeit und Ewigkeit.

Was irrlichtert in den Falten deiner Seele, kann endlich ruhen.

Was unterwegs ist in der Mühle deiner Gedanken, wird schlafen gehen.

Wer eine Hand braucht in den Wirren dieser Zeit, darf Halt finden. Wer Tränen vergießt in der Schwere der Dunkelheit,

wird das Licht fühlen. Wer krank ist, kann auf Heilung hoffen.

 

Was verloren ging, wird gefunden und nach Hause getragen.

 

So tröste und behüte dich Gott, Vater, Sohn und

Heiliger Geist. Amen

 

(Unter seinem sanften Stab geh' ich aus und ein und hab' unaussprechlich süße Weide, dass ich keinen Mangel leide;
Und sooft ich durstig bin, führt er mich zum Brunnquell hin.

Sollt' ich denn nicht fröhlich sein, ich beglücktes Schäfelein? Denn nach diesen schönen Tagen werd' ich endlich heimgetragen in des Hirten Arm und Schoß, ja mein Glück ist groß!)

 

Amen.

 

 

Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk

und hat uns aufgerichtet ein Horn des Heils im Hause seines Dieners David –

wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten –,

dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen,

und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund,

an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben,

dass wir, erlöst aus der Hand der Feinde, ihm dienten ohne Furcht

unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen.

Und du, Kindlein, wirst Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest

und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden,

durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe,

auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

 

Lukas 1, 67-79

 

 

 

 

Gottesdienst am dritten Advent in Königsbronn

 

Predigt

Predigt 13.12. 20 in Königsbronn,

Lukas 1, 67-79 siehe oben

 

Liebe Gemeinde,

heute ist der dritte Advent. In elf Tagen ist Heilig Abend. Gehen Sie in Gedanken einmal elf Monate zurück. Was war Ihr heimliches Glanzlicht? Der Moment, der Sie zutiefst berührt hat? Meiner geschah am 3. August. Den Flug gebucht,  wider Erwarten nicht storniert. Also wird geflogen, weil bezahlt.  Gut schwäbisch. Und so landeten wir um 12 Uhr Ortszeit, nach einem Flug, der Beten lehrte, in Helsinki. Noch  mit weichen Knien, verkrieche ich mich auf dem Beifahrersitz und lasse meinen Mann fahren. An einer Ampel öffne ich die Augen. Yhdessä kaikille on mahdollisesta. Steht da auf einem großen Plakat. Gemeinsam, miteinander ist alles möglich. Und die Schatten, meine Fragen der letzten Monate fallen in sich zusammen. Aufatmen. So unerwartet. Gott ist da. Er und ich. Gemeinsam unterwegs.  Und ich beginne das Geschenk einer unverhofften Reise auszupacken, lasse mich tragen vom Glück.

Liebe Gemeinde,

in unserem Predigttext, wir haben ihn als Psalm gelesen, geht es um das, was unser Menschsein in diesem Jahr so sehr ausmachte. Ungläubiges, oft verzweifeltes Staunen, Hoffen und Bangen, und in einer neuen Wirklichkeit sowas wie Frieden und Glück.

Zacharias und Elisabeth wünschen sich verzweifelt ein Kind. Und da erscheint Zacharias, als er den Priesterdienst versieht ein Engel mit den Worten:

Fürchte dich nicht, Zacharias, denn dein Gebet ist erhört, und deine Frau Elisabeth wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Johannes geben.“ Er will mehr wissen, doch er verstummt, bis er diesen Namen auf eine Tafel geschrieben hat. Sein Schweigen ist wie Gold.

Ja. Gott hat einen langen Atem. Und wie geduldig sind wir? Vieles, oft zu vieles wurde uns abverlangt in diesem Jahr. Gott gib du uns bitte Geduld, aber sofort… Warten, nein danke. Wir wählen den Übernachtversand, die Eillieferung und hoffen, dass das auch mit innerem Frieden und Glück so geht.

Elisabeth und Zacharias. Die Zahl ihrer Gebete um ein Kind wird nicht zu zählen sein. Es steht in einer Linie mit Hanna aus dem Alten Testament, die ebenfalls im Heiligtum Gottes betet, um einen Sohn bittet und Samuel bekommt.  Irgendwann ist sie einfach da diese Frage: Warum hörst du uns nicht Gott? Du kennst uns doch, warum dauert das so lang. Wir sind als Ungeduldige in guter Gesellschaft.

Aber Gott hält Wort. Seine Verheißungen sind uns nicht fremd. Er kommt gewaltig, sein Arm wird herrschen, hörten wir in der Schriftlesung. Er wird seine Herde weiden, wie ein Hirte, die Lämmer in seinen Arm sammeln. „Weil ich Jesu Schäflein bin, freu ich mich nur immerhin, über meinen guten Hirten.“ Gott liebt uns. Gott kennt uns. Gott sieht unser Warten.

„Gelobt sei der Herr, der Gott Israels. Denn er hat besucht und erlöst sein Volk.“ So lesen wir in Vers 68 unseres Predigttextes. Was für ein wohltuender Besuch. Ich glaube, er sieht nicht den Staub unter dem Sofa, nicht den Schleier auf den Fenstern, aber dieser Gott spürt unsere Liebe zu den Kleinen, den Geringen. Er freut sich an einem hoffenden Herzen, an mutigen Händen, einem Mund, der nicht ängstlich schweigt. Gott zu Besuch. Uns zugesagt. Die Kraft des Lebendigen, bei uns. Mit Ihm, dem Allmächtigen, ist alles möglich. Erlöst ist auch: Befreit sein. Leicht. Im Licht leben.

Im Lobgesang des Zacharias, dem Benedictus kommen wir, im Jahr 2020 vor. Da ist von einer neuen Welt die Rede. Nicht von einer Welt der Gesichtsmasken und Inzidenzwerte. Es geht auch nicht um Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln. Da ist mehr. Viel mehr. Da wird Gottes neue Welt, ein neuer Himmel und eine neue Erde beschrieben. Das reicht weit über diese Zeit hinaus.

Gott wird uns von unseren Feinden erretten, aus der Hand von Menschen, die uns hassen. Vers 71. Mobbing hat keine Chance. Gott vergisst seinen heiligen Bund nicht, das mit Abraham? Wir sind dabei.

Und in Vers 74 nochmal die Feinde, weil jeder Mensch, der in der Weltgeschichte unterwegs ist, welche hat, aber nun mit einem Zusatz. Wir dürfen Ihm ohne Angst, ein Leben lang dienen. Gott dienen, das ist so wohltuend viel. Dahinter verbirgt sich die ganze Fülle unserer Möglichkeiten. Die eine backt Kekse für Bedürftige, einer kehrt Schnee für die alte Nachbarin, eine füttert hungernde Tiere, erlebt sie vor Gott als Geschwister.

Das ist Gotte Wille. Gutes tun, gerade auch im Kleinen. Keine Hand geben? Dann lächeln Sie doch mit den Augen, verteilen Kusshände und fühlen dabei die Liebe unseres Gottes. Diese Kraft, die damals wie heute, die Welt aus den Angeln hebt.

Zacharias betet weiter: „Du Kindlein wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest. Den Weg, der vom Kopf direkt ins Herz unserer Existenz geht, dorthin wo der Sohn Gottes, wo Jesus uns als Bruder begegnet und uns verändert.

Der Name Johannes hat die Bedeutung „Gott ist gnädig“ und das ist Programm. Gott vergibt uns, weil seine Barmherzigkeit so groß ist. Vers 77. Vergebung brauchen wir alle. Selbst wenn wir täglich versuchen, nicht schuldig zu werden. Es ist in der gefallenen Welt, in der wir leben, nicht möglich. Aber wir erleben Gnade, Neuanfänge, Aufbrüche, Vergebung.

In Vers 78 kommt es endlich. Dieses göttliche Wort Licht, über das ich so gerne schreibe. Licht aus der Höhe. Licht das heilt. Als Sterbliche habe ich da ein Bild vor Augen. Ein Flugzeug, dass durch ein Unwetter fliegt, Blitze zucken, es rüttelt bedrohlich, doch es gewinnt an Höhe, durchbricht die obersten Wolken und die Sonne scheint mir ins Gesicht. Frieden breitet sich aus. Licht vom unerschaffenen Licht. Ein tiefer Seufzer bricht sich Bahn. Geschafft. Erlöst. Befreit. Über den Wolken dieser Erde. Gott gefühlt, doch ein ganzes Stück näher. Wir brauchen solche Erinnerungen und Bilder um zu leben, zu überleben.

Gottes Licht wird allen Menschen leuchten, die in Nacht und Todesfurcht leben, es wird uns den Weg des Friedens führen, ja unsere Füße ausrichten auf diesen Weg. Vers 79

 

Liebe Gemeinde,

wer kann sich jetzt an seinen Moment des Jahres erinnern? Vielleicht kommt er noch. Halten Sie einfach die Augen und Ohren offen, werden Sie hoffnungsvoll erwartende Menschen mit einem liebenden Herzen.

Das Licht der Liebe Gottes, seine Barmherzigkeit sind uns zugesagt. Schon hier und heute. Wir leben. Wir lieben. Wir dürfen im Jahr 2020 mit einer anderen, vielleicht sogar größeren Vorfreude, dem Heiligen Abend in elf Tagen entgegengehen.

 

Da wird einer kommen

 

da wird einer kommen

und die verirrten Gedanken

die Ängste und Sorgen

nach Hause führen

ins Licht

 

da wird einer kommen

und sagen

 

ich bin für dich da   C. E. Schray

 

 

 

Amen.

 

 

Cornelia Elke Schray, Prädikantin

 

Literaturgottesdienste 2020 "Sich dem Himmel anvertrauen"- "Der Herr hat Großes an mir getan" Lukas 1, 49 

 

Predigt „Die Sterntaler“

 

Liebe Gemeinde,

das letzte Hemd gegeben. Müde, leer.  Allein mit dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Endlos die Nacht. Das Morgenlicht eher grau.  Kennen Sie das?

Dann sind Sie bereit für einen Sterntaleraugenblick. Sie geben die Enge Ihrer Angst, Ihre Fragen einfach weg. Sie denken: „Ach du lieber Himmel. Sieh mich an!“ Und der Himmel, sieht Sie an. Es klären sich Fragen, ein Gefühl des Friedens macht sich breit. Am Berg dieses All-Tages zeigen sich Wege, lichten sich Nebel und der Gipfel, der Abend werden sichtbar.

Ich lese Ihnen von den Gebrüdern Grimm, das Märchen „Die Sterntaler“. Sie finden es zum Mitlesen auf dem ausgeteilten Blatt.

Lesen „Die Sterntaler“

 

 

Die Sterntaler Gebrüder Grimm

 

Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben und es war so arm, dass es kein Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr, als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld.

Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: „Ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungrig.“ Es reichte ihm das Stückchen Brot und sagte: „Gott segne dirs“, und ging weiter. Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: „Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann.“ Da tat es seine Mütze ab und gab sie ihm. Und als es

noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen und fror, da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin. Endlich gelangte es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins und bat um ein Hemdlein, und das fromme Mädchen dachte: „Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben“, und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin. Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel und waren lauter harte blanke Taler. Und ob es gleich sein Hemdlein weg-gegeben, so hatte es ein neues an, und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es die Taler hinein und war reich für sein Lebtag.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

es war einmal. So beginnen Märchen, die im Grunde nie fertig erzählt sind, mit denen man leben kann, wie mit liebgewordenen Kleidern in einem vertrauten Haus.

Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben. Ein Waisenkind. In der Zeit damals.  Aussichtslos. Zum Elend verdammt. Allein. Arm. Obdachlos. Das Stück Brot, ein Geschenk eines mitleidigen Herzens.

Es war einmal eine junge Frau. Gott schickt einen Engel zu ihr und der begrüßt Maria mit den Worten. „Sei gegrüßt Maria! Gott will dich beschenken. Er hat dich unter allen Frauen auserwählt. Du wirst ein Kind erwarten und einen Sohn zur Welt bringen.“ Vom Engel gegrüßt. Da bleibt der Alltag weit zurück. Was soll Mensch dazu sagen?

Ein Waisenkind. Eine verlobte junge Frau, guter Hoffnung oder ganz sachlich ausgedrückt: Schwanger.  Das war in den Zeiten, in denen beide lebten, so ziemlich das Letzte. Und die Letzten, so ein grundlegender und dabei zärtlich anmutender Baustein, in dem was Jesus lehrte, diese Letzten werden die Ersten sein.  Matthäus 20.

Wie passt dieses Evangelium in die Welt? Man möchte doch beiden Mädchen zurufen: Sucht Euch Hilfe! Das wird so nichts.

In einem Bilderbuch des Märchens hat das anonyme Mädchen einen Namen. Mathilda. Mathilda kommt aus dem Althochdeutschen, und „maht“ wird übersetzt mit „kämpferisch“, „mächtig“ und „hiltja“ mit Kämpferin, Heldin. Mathilda, die mächtige Heldin. Beeindruckend. Ich werde sie in der Predigt so nennen.

Maria, die Jungfrau. Mathilda, das Waisenmädchen. Gott sieht die Niedrigkeit seiner Kinder. Maria stellt das wörtlich fest. Gott ist so weit oben, dass er das Unten dieser Welt sehen kann, wie sonst keiner. Das ist manchmal schwer zu verstehen. Doch wenn wir glauben, dass er der Allmächtige ist, über dem sonst nichts und niemand steht, dann sieht Gott ohne Unterlass in Liebe nach unten, nach uns. Nach seiner Erde. Und dabei entfaltet sich das Leben.

Wir lesen im Märchen. „Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott, hinaus aufs Feld.“

Das ist allein schon Heldentat einer Heldin. Sie könnte unter die Räuber fallen, verhungern.  So ein Stück Brot reicht nicht weit. Ein unglaubliches Vertrauen ist um dieses Kind.

Wir lesen in Lukas 1. Meine Seele erhebt den Herrn. Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Er hat große Dinge an mir getan. Er ist mächtig, sein Name heilig. So ein Gott ist über alle Zweifel erhaben und vertrauenswürdig. So war es. So ist es.

Auf dem Feld begegnet Mathilda ein armer Mann. Er hat Hunger. Wohl an Leib und Seele. Aber zuerst knurrt ihm der Magen. Das Mädchen gibt ihm das Brot und dazu noch ihren Segen: „Gott segne es dir.“

Unübersehbar handelt Gott auf seiner Erde, unter uns. Die, die so gut wie nichts haben, teilen das Wenige mit den Ärmsten und so leuchtet Gottes Barmherzigkeit durch die Generationen von Menschen, bei denen die ihn fürchten.  Gottesfurcht ist eine besondere Furcht, die eine Grenze zwischen einem Leben mit den lebensbejahenden Geboten Gottes und den lebensfeindlichen Geboten gottferner Menschen zieht. Gottesfurcht ist gut. Sie kann vor Leid bewahren.

Mathilda hat jetzt kein Brot mehr, doch sie hat die Größe es mit einem Segen wegzugeben. „Gott segne es dir“. Ernähre dich davon, sei ein wenige heiler, lebe im Licht dieses Segens.  Denn die Not, die sie, die wir vor Augen haben, ist eben nicht das Letzte. Diese ungerechte Welt, eine verkehrt gewordene Gesellschaftsordnung – Strich drunter. Maria stellt in ihrem Lobgesang schlicht fest:

„Die Stolzen bekommen seine Macht zu spüren. Er stürzt Herrscher vom Thron, Unterdrückte richtet er auf. Die Hungrigen beschenkt er mit Gütern, und die Reichen schickt er mit leeren Händen weg.“ So in der Übertragung „Hoffnung für alle“. Und wie das so ist. Von den Reichen kann man das Sparen lernen? Wohl eher ist Geiz, weiß Gott keine Tugend.

Die vertrauende Mathilda segnet einen Hungrigen. Woher nimmt das Kind diese Kraft?  Gott tut Großes in ihr. Ist das nicht irgendwie beschämend, wenn die Armen noch den Ärmsten helfen, weil die Reichen, so wenig vom Reich Gottes verstehen, dass es ihnen nie reicht, egal wie reich sie sind? Tägliche Wirklichkeit um uns…

Die vertrauende Maria ist guter Hoffnung vom Heiligen Geist. Begnadet. Ihr Verlobter braucht nicht weniger als einen Engel, der ihm sagt, er müsse bleiben. Sonst wäre es aus und er davon.

„Es ging weiter“. Die Gott so vertrauende, deshalb mächtige Heldin Mathilda geht los.  Wenn die Beine sich in Bewegung setzen, fließen neue Gedanken, bildet sich der Weg unter Füßen. Geheimnis des Glaubens. Geh los. Dann geht es weiter.

„Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann.“ Mathilda denkt nicht lange nach und gibt. Das Brot, den Segen, Wärme für einen frierenden Kopf, eine Geste im Bewusstsein der Armut.

Wie berührend, wenn man seinem Neugeborenen, die erste Mütze über das Köpfchen streift. In einer Geste der Dankbarkeit und des Glücks. Wieder bewahrt. Nicht dem Tod in die Hände gefallen, dafür dem puren Leben.

Hier bedecke dein Haupt. Kühl nicht aus auf dieser Welt. Sei behütet.

„Und als es noch eine Weile gegangen war., kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen und fror, da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein.

Kind, was machst du da? Du wirst noch nackt und einsam erfrieren.  Was denken sich all diese Notleidenden, sehen sie denn nicht, dass es nichts mehr zu holen gibt?

Wie wird man zu einem Sterntaler-Kind? Mathilda ist dabei ihr letztes Hemd zu geben. „Und wenn ich all meine Habe den Armen gäbe und hätte der Liebe nicht, so wäre es mir nichts nütze.“  1. Korinther 13. Das Kind hat die Liebe.  

„Immer zu geben, das war sein Leben“. Ab und zu findet man das noch auf Todesanzeigen. Das wirft Fragen auf. Ja, es ist schön, wenn Menschen selbstlos leben, immer für andere da sind, sich aufopfern. Nur, selbst im Märchen kann nur gegeben werden, was man hat. Das Kind hat zu Beginn noch Kleidung und ein Stück Brot, es ist nicht nackt auf dem Feld.

In unserer Familie ist der Satz vom „Fluch des Gutseins“ sprichwörtlich geworden. Ein Mensch kann gut nähen und stricken. Dann macht er das. Er kann gut kochen und kocht.  Dieser Mensch kann auch Tiere retten. Deshalb rettet er, was zu retten ist. Dieser Mensch hat viel zu tun. Er arbeitet immer, denn er ist gut, die anderen laden ab und verstecken sich in ihrem scheinbaren Unvermögen.  Kann der „Alleskönner“ nicht mehr, fühlt er, nicht die anderen, sich schuldig. Dabei hat sein Tag auch nur 24 Stunden. Wie lernt man als Sterntaler-Mensch etwas von der eigenen Energie zurückzuhalten und für sich zu sorgen? Denn, bricht der Mensch zusammen, kommen die ganzen Hobby-Psychologen und hauen ihm den Satz um die Ohren: „Du musst auf dich achten. Du bist selbst schuld an deiner Erschöpfung.“ Danke für das Gespräch. Dennoch. Der „Fluch des Gutseins“ muss ein „Segen des Gutseins“ werden, damit auch die Gebenden ihr Leben bewahren können. Mensch kann nicht unendlich lange zusehen, wie immer mehr Hoffnung vernarbt. Mensch  darf die Schwäche seines Menschseins nicht aus den Augen,  sich nicht aus dem Herzen verlieren. Die Wirklichkeit ist eine Aufgabe im Leben, nicht seine Preisgabe.

Es gibt beim selbstlosen Geben einen entscheidenden Punkt.  Mathilda gibt aus freien Stücken was sie hat, und sie gibt Segen mit. Sie hat selbst entschieden zu geben. Aus Mitleid, aus Mitgefühl. Sie gibt, weil Gott alles gibt, sie segnet, weil sie sich gesegnet erlebt. Sie atmet und lebt.  Ihr Gutsein ist ein Segen. Genährt aus der Quelle der Kraft Gottes.

In dunkler Nacht zieht Mathilda ihr Hemd aus und ist nun nackt. Maria stellt fest: „Ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast.“

Und dann geschieht das Wunder, das täglich geschehen will.  Das Mädchen steht mit leeren Händen da. Im Augenblick des „Nichts-mehr-habens“ und damit auch „Nichts-mehr-geben-müssens“, wird Friede, ist Stille, öffnet sich der Himmel und schickt in den Sternen, sein Licht in die Nacht menschlicher Armseligkeit.

„Wenn ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachten, so bist du doch Gott allezeit meines Herzens Trost.“ Meine Hilfe. Du bist da. Psalm 73

Sterne werden Geld, werden Brot, werden ein Haus. Das sichert ihr Überleben ein Leben lang. Ihre Blöße wird bedeckt von einem Kleid aus feinstem Leinen, ein Stoff bekannt für seine zeitlose robuste Schönheit.

Sie hat gegeben in Liebe. Sie wurde vom Himmel reich belohnt. Aber es ist ein Ding der Unmöglichkeit als Mensch von einem selbstlosen Menschen noch mehr Selbstaufgabe zu verlangen mit dem Hinweis, er würde sich ja Schätze im Himmel verdienen. Das ist eine Geschichte zwischen Gott und einem Menschen, der gerne gibt. Nicht zwischen fordernden und gebenden Menschen. Wenn wir selbstlose Menschen zu Heiligen machen, sollten wir immer versuchen, sie zuallererst in ihren Gefühlen und Beweggründe zu verstehen, anstatt sie so zu verherrlichen, dass sie über allen stehen. Auch Menschen mit einem geheiligten Verhalten, sind immer noch Menschen. Immer noch hin- und hergeworfen zwischen Gut und Böse, Licht und Schatten.

Es gibt Fachleute, die solche Sterntaler-Menschen heilen möchten von ihrer Selbstlosigkeit. Doch das Reich Gottes, das mit dem Lobgesang der Maria und der Geburt Jesu in eine wirklich neue Dimension aufbricht, hat andere Gesetze. Gottes Kraft ist in den Kleinen mächtig. Seine Barmherzigkeit ist uns versprochen. Wir leben täglich aus ihr.  Wer in Liebe gibt, was er hat, wird nicht ärmer. Ein weiteres Geheimnis, das zu leben, zu erproben, dem auf den Grund zu gehen ist.

Gott tut täglich Großes an uns. Du bist doch Gott allezeit meines Herzens Trost.

Wie klingt unser Lobgesang?

„Vor dir werden meine Sorgen klein. Vor dir werden meine Wunden heil. Vor dir mach ich meine Fäuste auf. Vor dir.

In deinem Licht will ich leben. Und deinen Willen tun. Deinen Wegen folgen. Dir mein Leben anvertrauen. Vor dir müssen alle Schatten fliehen. Vor dir.

In deinem Licht will ich leben.“

  Johanna Schmidt, Melanie Schmidt, 2011

 

Gott gebe uns zum Wollen das Vollbringen. Amen.

 

Cornelia Schray

 

 

 

 

Predigt 7. Juni 2020 Oggenhausen

 

Liebe Gemeinde,

 

es ist 19.30 Uhr am Abend. Die Glocken der Eglinger Kirche läuten und rufen die Menschen wie überall im Land zum Gebet, zur Einkehr, zum Nachdenken. Seit einigen Monaten, heute zum letzten Mal.  Und immer horchte ich auf. Traf es mich in der Seele.

 

Was ist nur geschehen? Mama, wie war das früher? Fragte unser Sohn, der seit Mitte Februar wieder zuhause wohnt, weil die Uni Tübingen geschlossen ist. Es gibt, was das angeht kein früher, mein Junge. So lange ich denken kann, gab es immer Hefe, Nudeln, Toilettenpapier, waren die Grenzen nach Frankreich, in die Schweiz und Österreich offen, konnte man in ein Flugzeug steigen und gut war. Und in den Tagen danach sickert langsam die Erkenntnis durch. Ich gehöre mit meinem allergischen Asthma im April, zur Risikogruppe und Haus und Garten, der Wald ums Dorf sind nun alles, wo ich  gefahrlos sein kann, für viele Wochen. Lebe, lache gut, mache deine Sache gut. Schreibt der Dichter Ringelnatz. Nun galt es. „Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten.“.

 

„Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr; fremd wie dein Name sind mir deine Wege. Seit Menschenleben, rufen sie nach Gott; mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen? Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt? Ich möchte glauben, komm du mir entgegen.“ So in einem Lied von Lothar Zenetti aus unserem Gesangbuch.

 

Gott, hast du nicht andern Segen? Er hat….

 

Ich lese den Predigttext aus 4. Mose 6, 22-27

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

Gott redete mit Mose: „Sage Aaron.“ Auch wenn wir diesen „aaronitischen Segen“ zu einem festen, unverzichtbaren Teil unseres evangelischen Gottesdienstes gemacht haben, die Worte unglaublich vertraut sind. Es war zuerst ein Segen, der Israel galt. Er gehört uns nicht. Aaron soll den Namen Gottes auf das Volk legen. Der Segen ist Ausdruck des Bundes zwischen Gott und Israel. Wir. Wir sind Miterben der Heiligen und Gottes Hausgenossen, wie es in Epheser 2 steht.

 

Der Segen, den wir so gerne hören, die wohl die dichteste Stelle der christlich- jüdischen Glaubensäußerung.

 

Was für ein Geschenk! Wir dürfen mit Jakob, der in 1. Mose 32 am Jabbok mit einem ihm Unbekannten kämpft sprechen: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Und Jakob wurde gesegnet.

 

Und so leben wir auch heute. Als Gesegnete.

 

Der Herr segne dich.

 

Wir können einander zusprechen: Der Herr segne dich und behüte dich. Diese Worte. Für uns gemacht. Denn wir sind Gottes liebste Gedanken. Zu seinem Ebenbild geschaffen. Und es ist so egal, mit welchen Mängeln und Fehlern, wir vor ihm stehen. Wochenlang kein Friseurbesucht. Na und? Es gibt wichtigeres. Falten und Furchen, Augenringe, ein schiefer Gang, müde Knochen, Augen, die nur noch wenig sehen. Segen. Federleichtes Vertrauen. Die Möglichkeit über all die Schatten zu springen. Der Atem der Ewigkeit. Segen. Licht vom unerschaffenen Licht. Fülle, auch Freiheit, zu sein, wie wir gemacht wurden.

 

Der Herr segne dich. Er nimmt uns an, wie wir zu ihm kommen. Uns, die Kaputten und Sehnsüchtigen.

 

Er behüte dich. Behüten. Hüten. Ein Baby hüten, wenn es abends unruhig ist und nicht sein kann ohne geherzt, getragen, geschaukelt zu werden. Hüten, wie ein Schäfer seine Herde. Kein Raubtier darf sein Maul öffnen, den Schafen schaden. Kein Leid soll uns weh tun. Sei behütet, habe ich in den letzten Monaten als Gruß unter Briefe und Mails geschrieben. Und wir waren und sind alle gerufen, diese Frage, „Sollt ich meines Bruders, meiner Schwester Hüter sein?“ nun mit einem lauten und sicheren „Ja“ zu beantworten. Gott behüte dich. Und du hüte achtsam deine Nächsten. Nimm Rücksicht auf die Schwächsten, die Alten, die Kranken. Lass keinen zurück in der Not. Wir sind einander zu Hüterinnen und Hüter geworden. Das sollten wir nie wieder vergessen. Möge der Segen Gottes uns behüten.

 

Er lasse sein Angesicht leuchten über dir.

 

Sein Antlitz, gibt uns Licht, Leben, Freude in Fülle. Es leuchtet über uns. Mehr als die Sonne. Und es kann es sein, dass wir es nicht sehen, weil unsere Blicke starr nach unten, zur Erde, oder in die Dunkelheit, dem Tod entgegen gerichtet sind. Es braucht diesen menschlichen Willen Gott zu suchen, dahin zu sehen, wo er leuchtet, wo er mit seiner Gnade ist. Gott ist das pure Leben. Wir dürfen wachsen und gedeihen wie ein Sommergarten. Aus Gott, denn unsere Lebenskraft können wir nicht selbst erneuern. Gott macht unsere Herzen hell und zuversichtlich.

 

Er sei dir gnädig. Gnade. Das ist keine Sache. Das ist im Grunde etwas Unbeschreibliches. Wir reden von Begnadigen, und meinen oft damit, dass wir jemandem seine Taten vergeben. Wir sprechen von gnädig sein und spüren: Ja, da ist eine Kraft, die uns ganz weit entgegenkommt, uns bei unserem Namen ruft und uns sogar daran erinnern darf, uns selbst auch mal so gnädig zu sein, uns zu vergeben. Oder wie es in einem Lied heißt: „Reich dir die Hand und sei dir wieder gut. Dir haben Gott und Mensch vergeben, reich dir die Hand und schlag doch endlich ein. Nun musst nur du dir noch verzeihen.“ Gott sei dir gnädig. Gnädig in der Not und den Wirren dieser Tage. All die Regeln und Vorschriften machen manchmal so unglaublich müde. Am liebsten möchten wir uns verkriechen und erst wieder rauskommen, wenn es noch mehr oder ganz ist, wie „vorher“. Seid Euch gnädig in diesem Gefühl. Es ist schwer. Aber Gottes Gnade weist uns den Weg. Gnade ist: Nicht erringen müssen, wovon wir wirklich leben. Zum Leben bekommen, was wir brauchen. Gnade ist da. Gott ist da. Im Glauben zu ergreifen, an jedem Tag zu begreifen. Geschenkt.

 

Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich. Alle Menschen, die lernen Gottesdienste zu halten, fragen irgendwann ihre Lehrerinnen und Lehrer: „Was mache ich, wenn ich da vorne stehe und den Segen vergessen habe?“ Und die Antwort ist meistens: „Dann erfindest du einen neuen.“ Das gefällt mir. Und das funktioniert. Die Worte kommen. Wo wir am Ende sind, sprachlos, geknickt, können wir Gott ganz neu anrufen. Und er wird sein Angesicht auf uns erheben und weiterhelfen. Uns mit väterlichen und mütterlichen Augen ansehen und seine Blicke auf uns ruhen lassen, so wie wir ein Kind im Blick behalten, zu seinem Schutz, aus Fürsorge. Gottes Angesicht ist Licht und Liebe. Unter den erhebenden freundlichen Blicken Gottes zu leben, das lässt uns selbst erhabener werden, als wir es als Menschen sind. Es schenkt uns Würde in jedem Augenblick. Gottes Blicke heben uns heraus aus Not und Leid. Erheben uns über die Täler der Tränen.

 

Der Herr gebe dir Frieden

 

Dir. Mir. Uns allen. Mitte März lief in unserem Auto immer ein Lied, das uns durch die ersten Tage und Wochen in dieser so veränderten Welt trug. „Du bist der Vater, deine Kinder sind wir. Lass Frieden werden und beginne bei mir.“ Was bräuchte diese Erde im Moment mehr? Gott gebe uns diesen Frieden. Die Weisheit, Wege des Friedens zu finden, im Großen und Kleinen. Am Küchentisch und in der Welt. Die Geduld, die Barmherzigkeit im Umgang miteinander. Frieden zu bewahren. Frieden. Wir können ihn uns schenken lassen, einander zusprechen, sagen: „Friede sei mit dir!“ Frieden ist auch: Zufriedenheit. Innere Ruhe. Gelassenheit. In Demut den Frieden suchen, lieben, im Bewusstsein von Gewaltlosigkeit leben.

 

„So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“ So endet der Predigttext in Vers 27.

 

„Hast du mit Namen mich in deine Hand, in dein Erbarmen fest dich eingeschrieben? Nimmst du mich auf, in dein gelobtes Land? Werd ich dich noch mit neuen Augen sehen?“ So in dem Lied vom Anfang weiter.

 

Segnen heißt, wir legen Gottes Namen auf unsere Nächsten und spüren den Namen Gottes auf, über und unter uns. So sind wir gesegnet. Umhüllt. Getragen, getröstet. So spüren wir Segen als Geborgenheit, als sicherer Hort in den Wirren unserer Zeit.

 

„Sprich du das Wort, das tröstet und befreit und das mich führt in deinen großen Frieden. Schließ auf das Land das keine Grenzen kennt, und lass mich unter deinen Kindern leben. Sei du mein täglich Brot, so wahr du lebst. Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.“

 

Er ist der Gott, der Zukunft uns verheißt. Wir dürfen glauben. Er kommt uns entgegen.

 

Der Herr segne uns und behüte uns.

 

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über uns und sei uns gnädig.

 

Der Herr erhebe sein Angesicht auf uns und gebe uns Frieden.

 

Amen.

 

 

 

 

 

 

 

 

01.03.20 Predigt

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

noch eine Stunde bis zur Landung in der finnischen Hauptstadt. Wir sind auf fast 11 000 m Höhe über der Ostsee und ich kann die Nase nicht von der Fensterscheibe des Flugzeugs nehmen. Was ich da sehe, raubt mir den Atem, lässt mich nur noch staunen. Weit unten, das blaue Meer und ein schmales weißes Band, das das Wasser vom Land trennt. Dunkelgrüne Wälder, kleine Inseln. Wir durchfliegen ein paar Wolken, als wären sie nichts, doch sind sie so viel. Man sieht so hoch oben, dass die Erde keine Scheibe ist. Am Horizont ist eine leichte Krümmung zu erkennen, als könnte man mit der Hand zärtlich darüber streicheln.  Gott, du bist ein Künstler. Unfassbar. Nicht mit menschlichen Sinnen zu verstehen. Ich schweige. Morgenlicht leuchtet, rein wie am Anfang. Wir haben es vorhin gesungen.

 

Gott, hat ein Paradies erschaffen. Einen wunderbaren Garten mit Pflanzen und Tieren.

 

Und wir Menschen wurden hineingegeben in diesen Garten, ihn zu bebauen und zu bewahren.

 

Paradies. Das ist der Ausdruck für etwas außerordentlich Schönes. Wenn wir uns fühlen, wie im Paradies, dann geht es uns besonders gut. Wenn wir ein neugeborenes Kind das erste Mal in den Armen halten, dann fühlen wir ein Stück vom Paradies. So rein, so unschuldig, so gut. Noch ohne Schatten. Aus Licht.

 

Ein Paradies, das ist ein Sehnsuchtsort. Ein Ort, an dem diese große Sehnsucht nach einem „Alles ist gut“ wahr ist.

 

Doch wir wissen, Bleiben ist uns nicht beschert.

 

Es wird immer wärmer. Es brennt. Unbekannte Krankheiten sorgen für Panik. Und die Zeitung abbestellen, das Fernsehgerät auslassen, ist auch keine Lösung.

 

Was wird aus dem Paradies Erde?

 

Ich lese den Predigttext aus 1. Mose 3, 1-24

 

So weit so schlimm. So schwer. So furchtbar. Die ersten Menschen sind aus dem Paradies vertrieben worden. Und das schon lange vor der Zerstörung der Umwelt, wie es heute ist.

 

Warum? Wie kam es? Mein Gott, wie kann es sein?

 

Etwas davon wird deutlich, wenn wir das Gespräch zwischen der listigen Schlange und Eva anschauen.

 

Die Schlange heißt es, war listiger als die anderen Tiere auf dem Feld. Ihre Frage ist heimtückisch.

 

Ja sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?

 

Eva antwortet: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des einen Baumes in der Mitte, hat Gott gesagt: Esst nicht davon, rühret sie nicht an, dass ihr nicht sterbet.

 

Adam und Eva waren wohl bereit, sich daran zu halten. Es gab keinen Grund es nicht zu tun. Sie hatten ein gutes Leben. In unzähligen Kinderbibeln ist das in den buntesten Farben abgebildet dieses Paradies. Keine Arbeit. Keine Sorgen. Kein Leid. Keine Scham, keine Verzweiflung.

 

Und nun die Schlange. Vielleicht hat sie sich gerade gehäutet. Sieht ein wenig anders aus. Auf alle Fälle ist sie nun dabei, über ihre Verhältnisse mächtig hinaus zu wachsen und als Geschöpf etwas besser wissen zu wollen, als ihr Schöpfer.

 

Vergiss es Eva. Wenn dein Gott so gut ist, wie du bisher dachtest, wieso gibt es dann dieses Verbot? Die Schlange sät Misstrauen, treibt einen Keil zwischen Gott und Mensch. Man kann dieses Verhalten in vielen Familien beobachten. Die Eltern spielen ihre Kinder gegeneinander aus, loben eins beim andern, lästern beim Sohn über die Tochter ab und umgekehrt und aus unschuldigen Kindertagen erwachsen heillos zerstrittene Geschwister. Das Sandkastenparadies wird zur Vorhölle.

 

Die Schlange sagt: „Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tag, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott, und wissen, was gut und böse ist.

 

Und genau das ist unser Problem.

 

Wir wollen sein wie Gott.

 

Wir erheben uns über Gott und seine Gebote. Diese Gebote aber, schützen uns und sichern uns ein gutes Leben.

 

Adam und Eva aber, und es ist vollkommen egal, wer da jetzt zuerst abgebissen hat, aßen von der verbotenen Frucht.

 

Wir wissen, was geschieht: Sie merken, dass sie nackt sind. Sie schämen sich voreinander. Stellen wir uns einmal vor, dass das nicht nur eine Nacktheit der Körper war, sondern auch eine der Seelen und Gedanken.

 

 Da konnte Eva plötzlich förmlich riechen, was Adam dachte. Zweifel, oft der Anfang von Verzweiflung machten sich breit. Liebt sie mich, so wie sie mich sieht? Bin ich schön genug für ihn?

 

Sie bedecken sich. Sie verstecken sich. Und Gott kommt und stellt diese Frage, die er täglich stellt:

 

Wo bist du Mensch?

 

Wo bist du Mensch? Komm raus. Was ist nur geschehen?

 

In der Theologie wird dieser Akt des Ungehorsams, das Essen von der Frucht oft als Erbsünde beschrieben. Vielleicht sollte man es lieber Grundsünde nennen. Es ist die Grundsünde des Menschen, dass er sein will, wie Gott.

 

Klar, es wäre so viel einfacher. Mit dem Finger schnipsen und alle Probleme dieser Welt sind gelöst.

 

Zweifle nicht an dem, der dir sagt, er hat Angst. Aber hab Angst vor dem, der dir sagt, er kennt keinen Zweifel. Von Erich Fried. Die Schlange? Hat keinen Zweifel. Viel zu viele Mächtige dieser Welt? Sind sich ihrer Sache sicherer, als ein sterblicher Mensch es je sein könnte.

 

Hab Angst vor dem, der dir sagt, er kennt keinen Zweifel. Das gilt für einen Mensch unter Menschen.

 

Wohin hat uns diese Geschichte gebracht?

 

Wir verstecken uns in unserer Nacktheit voreinander und vor Gott. Wir möchten nicht gesehen werden, wie wir wirklich sind. Wir suchen Gewissheiten, die es in dieser Zeit, in diesem Raum nicht gibt, erst danach in dem, was wir Ewigkeit nennen.

 

Wir möchten als Alleswisser und -könner dastehen. Ales im Griff haben. Gerne soll man zu uns aufsehen. Dazu verstecken wir unsere Ängste und Sorgen und möchten nicht aufeinander angewiesen sein. Man soll nur die Schokoladenseite sehen, nicht die Tränen auf dem Kopfkissen.

 

Sein wollen wie Gott. Wir sind doch die Geschöpfe, nicht der Schöpfer. Wir sehen doch täglich, dass unserer Weisheit Grenzen gesetzt sind.

 

Im Staunen wäre doch der Keim eines neuen Anfangs. Im Blick von oben. In der Umarmung. In den Augen eines Neugeborenen. In den vier schönen Worten: Ich hab dich lieb.

 

Adam und Eva haben es nicht geschafft, diese eine Grenze nicht zu übertreten.

 

Gott kommt, auch wenn er die ganze Zeit da war und stellt seine Menschen zur Rede, wartet mit einer Aufzählung von Maßnahmen auf, die nun eine neue Ordnung begründen, die heute noch gilt.

 

Aus dem Paradies vertrieben. Und mit der Qual der Wahl versehen, sich nun halt mal am eigenen Schopf zu packen, das Gute zu tun und das Böse zu lassen. Täglich mit der Versuchung, aus der Haut zu fahren.  Täglich mit dem Gefühl, dass Liebe gut ist und Haas schlecht und es so oft nicht auf die Reihe zu kriegen.

 

Heute feiern wir den ersten Sonntag in der Passionszeit. Viele Menschen gestalten diese 40 Tage bis Ostern persönlich als Fastenzeit, sie möchten Versuchungen wiederstehen und Gott neu begegnen.

 

Wir Menschen entdecken dabei, wie schwer es ist, aus eigener Kraft so zu leben, wie es gut und richtig, wie es im Angesicht Gottes weise wäre. Wir spüren, dass wir angewiesen sind auf einen gnädigen Gott. Auf den, der dem Menschen einen freien Willen gegeben hat, weil er keine Marionetten wollte, sondern denkende und fühlende Geschöpfe.

 

Dabei merken wir, dass wir angewiesen sind auf Gottes Liebe und Erbarmen.

 

Jetzt am Beginn der Passionszeit, gehen wir Schritt für Schritt dem Leiden Jesu nach. Wir gehen den Weg mit dem, der die, um es bildlich zu sprechen, verschlossene Tür zum Paradies wieder öffnen kann und wird.

 

Wir nehmen war, dass Jesus Gott über alles andere gestellt hat. Ihm in allen Dingen vertraut hat.

 

In der Geschichte vom Paradies, im Staunen über diese Erde geht es in jedem Wort um Vertrauen. In der Geschichte von Jesu Versuchung aus der Schriftlesung geht es um Vertrauen. Vertrauen, das Gegenteil von misstrauen. Gott zutrauen, dass er es gut macht mit uns.

 

Wir haben beide Geschichten vor Augen. Jedes Mal die Frage:

 

Erhebt sich der Mensch über sein Menschsein und macht sich zu Gott?

 

Jedes Mal auch der Versucher, die Versuchung. Der Teufel, der Jesus ins Ohr flüstert. Du bist doch Gottes Sohn. Du kannst doch mehr, als ein Mensch sein. Du kannst doch selbst Gott sein und Macht über alles haben.

 

Jesus erliegt der Versuchung nicht. Er erkennt Gott als den alleinigen Herrn an. Erlebt sich als Kind Gottes. Und ein Kind erhält alles, was es zum Leben braucht von seinen Eltern. Das ist der Urzustand. Das Paradies.  Wir wissen, viele Kinder erhalten von ihren Eltern nicht was sie zum Leben brauchen und ich rede hier nicht von Brot und Spielsachen, sondern von Liebe, Fürsorge, Achtung. Das ist dann jenseits von Eden.

 

Das Böse gewinnt keine Macht über Jesus, wie das bei den ersten Menschen noch gelang.

 

Jesus ist der Christus. Der Retter der Welt.

 

Die Tür zum Paradies ist wieder auf. Wirklich?

 

Unsere Paradiese werden seltener. Glücklich und sorglos leben wir sicher nicht. Der Mensch ist dem Menschen zu einem Raubtier geworden. Einer will besser sein als der andere.

 

Wo bist du Mensch?

 

Gott zu vertrauen, sich Ihm anzuvertrauen, führt an jedem Tag ein Stück zurück ins Paradies. Wir müssen uns nicht mehr übertrumpfen, uns nichts mehr beweisen. Wir sind den Versuchungen, einander gnadenlos eins auszuwischen nicht mehr ausgeliefert.

 

Jesus nachfolgen heißt auch, zu hören, zu sehen, zu spüren, dass Gott an erster Stelle steht und Er uns umsorgt mit seiner Liebe.

 

Wo bist du Mensch?

 

Auf den Sündenfall folgte der Brudermord. Kain erschlägt Abel. Und auf diese schlimme Frage, „sollte ich meines Bruders Hüter sein?“, können wir täglich eine bessere Antwort geben.

 

Ja, ich will meines Bruders, meiner Schwester Hüter sein. Damit es nicht so weitergeht, wie es in der Geschichte angefangen hat. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.

 

Wir dürfen uns nicht länger totschlagen mit Worten und Taten.

 

Wir wissen es doch besser. Wir spüren doch, dass Liebe uns nährt und Hass uns aufzehrt.

 

Wir sehen doch täglich, dass wir dringend Hilfe brauchen, damit aus dem Paradies des Liebens nicht die Hölle des Verachtens wird.

 

Hören wir auf Gottes Ruf. Vertrauen wir ihm, dass er die Erde und alle Geschöpfe auf ihr letztendlich in seinen Händen hält.

 

Leben wir so, wie unser Bruder und Herr, Christus es uns vorgelebt hat. Dann können wir auf die Frage, „Wo bist du Mensch?“, ganz einfach und ohne Versteckspiele antworten:

 

Hier sind wir Gott!

 

Gib du uns zum Wollen das Vollbringen.

 

Amen.

 

 

 

 

 

 

Predigt 23.02.20, Cornelia Elke Schray, Eglingen

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

es war irgendwann in den letzten Monaten. Nicht recht Winter, aber irgendwie grau, rau und trostlos. Tag reiht sich an Tag, Termin an Termin. Das Leben zerrt und rüttelt an einem, mal mehr mal weniger unbarmherzig, dann wieder überraschend freundlich. Und wie aus heiterem Himmel im Radio ein Lied von Johannes Oerding. Er war vor zwei Jahren hier in der Gegend.  

 

„Wir können die Brücken nicht mehr sehen. Zu viele Mauern aus Zement. Wir spüren nicht mehr, was uns verbindet. Nur diese Kälte, die uns trennt. Wir sind ein kleiner Teil des Ganzen. Doch wir können das Ganze, das Ganze nicht mehr teilen. Sind so unendlich viele Menschen. Aber viel zu oft allein.“ Und weiter im Refrain:

 

Wir sind wie blinde Passagiere, treiben einfach so umher. Auf ner kleinen blauen Insel durch das große schwarze Meer. Wir sind wie blinde Passagiere, wir wissen nicht, wohin es geht. Und wenn man irgendwann aussteigt, will doch jeder sagen. Wir haben geliebt. Wir haben gelebt.“

 

Worte, die nicht da rein, da raus gingen, sondern ins Herz. Worte, die man daheim nachbuchstabiert, weil sie nicht nur schön gesungen sind, sondern auch so wahr oder nicht?

 

Blinde Passagiere. Das wollen wir doch nicht sein. Wir möchten doch zu den Sehenden gehören, zu den Wissenden. Und ahnen doch, dass wir oft nicht sehen und nicht wissen.

 

 

 

Ich lese den Predigttext für den heutigen Sonntag aus Lukas 18, 31-43

 

Liebe Gemeinde,

 

zwei unterschiedliche Episoden haben Sie gehört. Unvermittelt hintereinander erzählt. Was haben sie miteinander zu tun? Lukasevangelium. Das der vier Evangelien, das so gut berichtet, so wunderbare Geschichten beinhaltet.

 

Der blinde Mann am Wegrand kann nicht sehen, so sehr er sich auch anstrengt. Blind sein bedeutete damals, zum Betteln und einem Leben im Staub verdammt. Nicht viel wert. Eben am wirklichen Leben gehindert durch ein ungerechtes Schicksal. Nicht teilnehmen können, keine Familie, keine Freunde haben. Einsam und allein.

 

Die Jünger sehen mit ihren Augen nicht, so sehr sie sich auch anstrengen. Auch wenn Jesu Worte eindeutig sind, schließlich redet er ganz klar von seinem kommenden Ende, ist es ihnen nicht möglich, der Wahrheit ins Auge zu sehen.

 

„Es wird alles vollendet werden“. Heißt es in Vers 31. Im Grunde könnten sie es wissen. Propheten haben von einem Menschensohn geweissagt. Menschensohn ist ein Messias-Titel, der aus der alttestamentlichen Prophetie stammt und unterstreicht. Der erwartete Messias vereint beides in sich. Menschengestalt und Gottessohn-Sein.

 

Es ist erschreckend, was Jesus seinen Jüngern da vor Augen malt. So erschreckend, dass sie davor die Augen verschließen, verschließen müssen, denn es hätte sie wohl überfordert. Sie hätten ganz zu Recht die Frage stellen müssen: Jesus, wenn es in Jerusalem oben so gefährlich ist, warum gehen wir dann nicht in eine Ecke des Landes, wo gut zu leben ist? Wer will schon sterben?

 

Wir kennen das. Man hat die Vermutung, dass etwas nicht gut geht. Ahnt das schlechte Ergebnis schon voraus. Aber innerlich läuft man dem gerne davon.

 

Wird schon nicht so schlimm kommen. Und wenn doch?

 

Viele Menschen haben Todesahnungen. Sie spüren, wenn eine Krankheit nicht mehr aufzuhalten ist oder die Gebrechen des Alters doch zu groß.

 

Andere fühlen, dass etwas sie abhält, ins Auto zu steigen. Manche leben in Ländern, die eben keine freie Meinungsäußerung dulden und man das Unrecht nicht mehr beim Namen nennen darf.

 

Dazu gibt es Menschen, die so sensibel sind, dass sie mehr Tatsachen, mehr Details wahrnehmen als andere und deshalb Zusammenhänge schneller erfassen und darauf reagieren können.

 

Wie dem auch sei. Die Gefährdung des eigenen Lebens zu bemerken macht Angst.

 

Jesus hatte diese Todesahnungen.  Er wusste, dass es für ihn lebensgefährlich war, nach Jerusalem, in Zentrum der religiösen Macht, zum Tempel zu ziehen, denn die religiösen Führer hatten großes Interesse daran diesen Jesus von Nazareth zu töten.

 

Seine Lehre, seine Heilungen, so wie er über Gott sprach, seine Predigten und seine innere Treue zum Gesetz, die manch äußere Treue hinterfragte, machte ihn brandgefährlich.

 

Das wusste Jesus. Das sah er als Folge seines Auftrags an, zu dem er sich von Gott seit dem Anfang seines Wirkens berufen wusste.

 

Das musste so kommen. Tod in Jerusalem. Kein langes Siechtum, keine Krankheit. Ein Tod von Menschenhand.

 

Das scheint uns so unnötig, so sinnlos wie das jeder Mord, jeder Krieg auf dieser Welt ist.

 

Daneben die Jünger, die blinden Passagiere, die noch nicht wissen oder es nicht fassen können, was da im Raum steht. Sie wären doch gerne alt geworden mit diesem wunderbaren Jesus, in dem sich Gott so ganz anders, so lebendig, so liebend gezeigt hat, im Vergleich zu dem, was sie vorher kannten.

 

Jesus was soll das jetzt? Und der Sinn seiner Rede war ihnen verborgen, als wären sie blind und müssten sich ihre Umwelt anders erschließen als mit den Augen, nämlich mit Händen und Füßen, Ohren und Nasen.

 

Auch dieser Satz, wie in Stein gemeißelt, „am dritten Tage wird er auferstehen“, scheint die Jünger nicht aufzuwecken. Es scheint so, als könnten sie das Ganze einfach noch nicht sehen. Sicher, da gab es die alte Geschichte von Jona, nach drei Tagen aus dem Totenreich im Bauch des Fisches wieder aufgetaucht, ans Land geworfen, mit einer neuen Chance, den göttlichen Auftrag noch zu erfüllen. Aber das scheint ihnen doch weit weg von ihrem Meister, der ihnen so oft schon die Augen öffnete.

 

Der Rede von Tod und Auferstehung stand ihre große Hoffnung gegenüber, dass er Israel erlösen würde, Gottes Reich des Friedens bringen würde.

 

„Wir sind wie blinde Passagiere.  Mal kriegen wir nen Platz am Fenster, aber gucken gar nicht raus.“

 

Jesus, ein Mensch, leibhaftig, einer in unserer Haut. Die Jünger blind für den Sinn der Worte Jesu. Was wird ihnen den Sack vom Kopf ziehen und die Augen öffnen?

 

Es braucht wohl erst den Tod des Meisters, den langen Weg nach Emmaus, wo Er unerkannt mit ihnen ging, ihnen die Schrift geduldig erklärte. Sie sollten doch verstehen. Verstehen und sehen. Das ist wichtig. Wir müssen das lernen und können.

 

Und auch da, erst im Nachklang. „Brannte nicht unser Herz, als er mit uns redete auf dem Weg und uns die Schrift öffnete.“

 

Jetzt aber- alles verborgen. Oder soll man ihnen zurufen. Macht die Augen zu, Gott will euch was zeigen? Versucht mal mit dem Herzen zu sehen! Bitte!

 

Und dann diese Begebenheit am Weg, in der Nähe von Jericho. Der Verfasser des Lukasevangeliums wird wissen, warum er so, an dieser Stelle damit ankommt.

 

Ein Blinder am Weg. Gut, dass Almosen geben zur Erfüllung des Gesetzes gehörte. Sonst wäre er ja verhungert.

 

Er ist blind ja. Aber doch nicht taub. Blinde lernen gut zu hören. Dass das so ist, erleben wir in unserer Familie jeden Tag. Seit fast 1 ½ Jahren gehört eine junge blinde Katze zu unserer Familie. Sie sollte erschlagen werden, ein Mädchen aus dem Dorf brachte sie uns mit den Worten. „Sie will doch auch leben.“  Sie zeigt uns das immerzu.  Sie hört besser, sie fühlt mehr, sie hat gelernt, was sie können muss. Treppensteigen. Das Futter riechen. Ihre Menschen lieben. Wir sind ihre Augen und sehen nun unsere kleine Welt so oft durch ihre Dankbarkeit völlig neu. Wir erleben sie als Mitgeschöpf, als Gottesgabe.

 

Blindsein bedeutet, anders wahrzunehmen. Was ist da los? Da sind viele Leute. Da ist etwas verändert. Da ist Jesus von Nazareth.

 

Von ihm hatte der Blinde unseres Predigttextes schon gehört. Der kann helfen. Der kann heilen. Das ist die Chance seines Lebens auf ein besseres Leben.

 

Und er ruft so laut, dass das alle Regeln des Anstands, jeglichen Abstand vergessen lässt.

 

„Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!

 

Sofort die Leute: „Sei still. Stör nicht! Schweig! Nerv nicht.“ Er ruft weiter und wohl lauter.

 

Kennen Sie das Bild auf der Kinderbibel von Kees de Kort, wo der blinde Bartimäus mit knallrotem Kopf und Augenbinde, mit weit offenem Mund schreit?

 

Jesus, auf dem Weg in den Tod, lässt sich von einem von uns aufhalten, wie so oft.

 

„Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ Ist das nicht eine wunderbare Frage voller Liebe, Weisheit und einer Güte, die den Ausgestoßenen zurück holt in die Mitte der Menschlichkeit?

 

Was willst du, dass ich für dich tun soll?

 

„Herr, dass ich sehen kann.“ Dass ich aufblicken kann, so das griechische Wort dafür. „Dass ich hinaufblicken kann nach Jerusalem, so wie du hinaufgehst in diese Stadt.“ Steht das hinter der Bitte?

 

Wir sind wie blinde Passagiere. Mal haben wir weniger als nichts. Und machen mehr als alles draus.

 

Wie wahr. Er hat weniger als nichts. Aber er macht alles draus. Alles für den einen Moment. Alles, um von Jesus geliebt, geheilt, gehalten zu werden. Der Blinde am Rand des umtriebigen Lebens dort am Rand der Stadt wird zugesagt:

 

„Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.“

 

Du darfst leben. Sei liebend. Und er wurde sehend und folgte ihm nach und pries Gott.

 

Sei sehend! Wenn ich von unserem blinden Familienmitglied träume, hat es immer Augen, kann sehen. Ich würde Enya so gerne in die Augen sehen. Nicht, dass ihr Leben ohne Augen uns weniger wert wäre, als mit. Sondern weil ich mich oft sehne nach einer Welt ohne Leid, ohne Verzweiflung, ohne Hunger, ohne Krankheit, ohne die dunklen Nächte der Seele.

 

Wir wissen, wie es im Evangelium weiterging. Wir möchten sehen, wohin Jesus geht. Wohin sein Weg führt. Und wir sehen, dass nicht alles gut wird, wo er ist, wo wir sind in unseren Leben. Weil die Macht zu heilen auf Widerstand trifft.

 

Jesus geht einen Weg, den wir nicht verstehen, weil wir Gott nicht immer verstehen, weil wir nicht fassen können, warum das so sein muss.

 

Wir sehen, dass Gott manchmal verborgen ist, im Leiden, im Tod. Aber dass er da ist, spüren wir wohl. Gott ist da, in allem.

 

Wir möchten es genau wissen, uns sicher sein, dass unsere Hilferufe ihn erreicht haben und zur Grundlage unseres Daseins werden.

 

Das alles verbindet uns mit dem Blinden, der um sein Augenlicht bittet.

 

Lukas erzählt davon an einer Stelle, wo die Jünger den Weg von Jesus, der ans Kreuz führt, nicht sehen können. Gottes Weg ist ihnen verborgen. Sie sehen nichts.

 

Gottes Wege sind uns oft verborgen. Wir sehen nichts. Bitten wir Jesus, dass er Sehende aus uns macht? Halten wir aus, was wir dann sehen auf dieser Erde?

 

Wir sind vielleicht blinde Passagiere, aber wir treiben an Jesu Hand nicht eben so umher. Wir wissen wohl oft nicht, wohin es geht, aber es ist uns zugesagt, dass wir unser irdischer Weg  nach Hause führt, in die Arme Gottes.

 

An seiner Hand können wir aus weniger als nichts, an so vielen Tagen alles machen.

 

Und wenn wir irgendwann aussteigen aus diesem Zug der Tage, Monate und Jahre, dann möchten wir wirklich sagen:

 

Wir haben geliebt. Wir haben gelebt.

 

Gott gebe uns zum Wollen das Vollbringen. Amen.

 

 

Literaturgottesdienst 2019 Predigt

 

Cornelia Elke Schray

 

 

 

 Meine Zeit steht in deinen Händen

 

Momo, das Kind, das den Menschen, die gestohlene Zeit zurückbrachte

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

wie zufällig, ich glaube aber nicht an Zufälle, dafür an ein Geführtwerden, las ich, dass Michael Ende in diesem Jahr, 90 Jahre alt geworden wäre und die Idee, sich mit seinem Buch Momo, aus dem Jahr 1973, zu beschäftigen, nahm Gestalt an. Michael Ende wurde am 12. November 1929 in Garmisch geboren und starb am 28. August 1995 in Filderstadt im Alter von 75 Jahren. Er erhielt für sein Schaffen unzählige Preise. Aus seiner Feder stammen u.a. „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, „Die unendliche Geschichte“ und eben Momo. Seine Bücher wurden in über 40 Sprachen übersetzt. Seine tiefgründigen wortgewaltigen Bücher für Kinder wurden mehr als 30 Millionen Mal gedruckt. Als Vielleserin kannte ich seine Werke. Was würden sie mir heute, längst erwachsen, sagen? Hier ist Momos Geschichte.

 

„Eine große Stadt und ein kleines Mädchen. In alten, alten Zeiten, als die Menschen noch in ganz anderen Sprachen redeten, gab es in den warmen Ländern schon große und prächtige Städte.“

 

 Weit holt der Anfang des Buches aus. Greift zurück in eine Zeit, in der man noch abends einfach beisammen vor den Häusern saß, und redete. Wer das heute sieht, so ein Bänkle vor dem Haus, dem hüpft das Herz.

 

Zeit war noch so ewig, nicht mit der Stoppuhr, mit dem Kaffee im Pappbecher, gemessen.

 

Gott sprach: Es werden Lichter, an der Feste des Himmels, die da scheinen Tag und Nacht. Sie seien Zeichen für Zeiten, Tage und Jahre und seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie scheinen auf die Erde.“. So in 1. Mose 1. Zeichen für Zeiten… Zeit aus der Fülle Gottes, die alles hervorbrachte. Sonne und Mond als allererster Taktgeber.

 

Was ist Zeit?

 

In der Ruine eines italienischen Amphitheaters, lebt Momo. Klein und mager, mit großen braunen Augen und wilden schwarzen Locken. Ihr Rock aus Stoffresten. Darüber trägt sie eine zu große Männerjacke. Sie versorgt sich selbst.  Ein paar Männer aus dem nahen Dorf, sehen in ihrem Unterschlupf vorbei. Momo antwortet auf die Frage, wann sie denn geboren sei mit: „Soweit ich mich erinnern kann, war ich schon immer da.“ Ja, wann haben wir angefangen zu leben? Ihr Alter gibt sie mit 102 Jahren an. „Ich brauche nicht viel“ sagt sie schüchtern. Die Menschen im Dorf sind freundlich und versorgen sie. Momo hat Zeit. Momo ist da.

 

„Je länger das kleine Mädchen bei ihnen war, desto unentbehrlicher wurde es ihnen“. Momo hatte eine Gabe, die hohe Kunst ist, sie konnte z u h ö r e n. „Wer noch nicht gemerkt hatte, dass er sie brauchte, zu dem sagten die anderen: Geh doch zu Momo.“

 

Das wurde eine Redewendung. Man sagte nicht mehr:“ Weiß der Himmel.“ Man sagte: Geh doch zu Momo. Sie war da und plötzlich wussten Ratlose, wie es geht. Streithammel versöhnten sich. Verzweifelte lebten.  Ein Kanarienvogel, der verstummt war, begann zu singen, als Momo ihm ein paar Stunden zugehört hat. Den Verstummten zuhören, bis sie wieder zu singen anfangen. Wie berührend. Wie notwendig. Wie menschlich. Wie ursprünglich. Woher nimmt sie diese Kraft? Wer ist Momo?

 

Sie hört den Sternen zu in der Nacht und hat ihre gewaltige Melodie in ihrem Herzen. „Wie bei Momo“, sagen die Kinder, kann man sonst nirgends spielen. Ihre Kreativität ist die Essenz des Lebens. Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…sagt Jesus. Komm doch zu Jesus!

 

Momo hat viele Freunde, aber ein besonders guter ist Beppo, der Straßenkehrer. Beppo kehrt die Straßen mit all seiner Leidenschaft und einem dankbaren Herzen. Er erklärt Momo: „Manchmal hat man eine sehr lange Strecke vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang, das kann man niemals schaffen. Man fängt an, sich zu eilen, man kriegt es mit der Angst, zum Schluss kann man nicht mehr.“ Und er zeigt ihr die Lösung: Schritt-Atemzug-Besenstrich. Bis die Straße fertig ist und sagt: „Man darf nie die ganze Straße auf einmal denken. Man muss nur an den nächsten Schritt denken, den nächsten Atemzug, den nächsten Besenstrich. Und immer nur an den nächsten. Dann macht es Freude. So soll es sein.“ Nur für heute werde ich mich bemühen, einfach nur den Tag zu erleben… in einem Gebet von Papst Johannes XXIII.

 

Nur für heute, will ich keine Angst haben. Heute. Die Zeit von Gott. Momo, so steht es im Buch, bewahrte diese Worte in ihrem Herzen. Diese drei Worte finden wir in der Bibel.

 

Girolamo. Ein zweiter Freund. Er ist Beerdigungsteilnehmer, Katzenfutterverkäufer, Liebesbriefträger, geborgen im Licht. Er atmet so gelassen aus der Fülle der Zeit, dass er sagt: „Ich werde es schaffen“. Glück ist auch die Abwesenheit von Selbstzweifeln, und die Anwesenheit von Vertrauen, dass das Leben gut geht. Weil weinen seine Zeit hat und lachen. Hoffen und Bangen.  Girolamo glaubt, dass Menschen für ein bisschen Wohlstand ihre Seele verkaufen. Was ist mit uns?

 

Beppo, Gigi und Momo. Auf ihr Leben, fällt bald ein grauer Schatten. „Die meisten Leute, so im Buch weiter, nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bisschen über ein ganz alltägliches Geheimnis. Dieses Geheimnis ist die Zeit…. Es gibt Uhren und Kalender, jeder weiß, dass einem eine einzige Stunde wie eine Ewigkeit vorkommen kann, mitunter kann sie aber auch wie ein Augenblick vergehen.“ Sie wissen. Was man eben erlebt. Warten auf die Prüfungsergebnisse der Kinder. Oh Gott! Glückselige Feste, Erfolge? An Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit. Alles unter dem Himmel hat seine Stunde.

 

Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen. Wer das Märchen von Momo kennt, der weiß um das Erscheinen der grauen Herren.

 

„Niemand kannte den Wert einer Stunde, einer Minute, ja einer einzigen Sekunde Leben so wie sie.“

 

 Sie sind erst verborgen, aber möchten den Menschen ihre Zeit rauben. Und damit ihr Leben, das im Herzen schlägt. Die grauen Herren sind grau, sie sind die geraubte Zeit.  In ihrer Gegenwart beginnen alle lebendigen Menschen vor Kälte zu zittern.  Agenten von der Zeitsparkasse tauchen auf und rechnen den Menschen vor, was alles Zeitverschwendung sei: Um Arme und Kranke kümmern, an Blumen freuen, gütig zum Nachbarn sein, ein Lied singen. Keine Zeit mehr, um zu lachen und zu lieben.

 

„Gesparte Zeit ist doppelte Zeit. Zeit-Sparern gehört die Zukunft. Mach mehr aus deinem Leben, spare Zeit.“ Moment, Zeit ist doch, bei Gott, Leben. Und Leben wohnt in unseren Herzen. Meine Zeit steht in Gottes Händen. Hat es nicht unfassbare Folgen, diese Weisheit nicht mehr zu fühlen, zu glauben, zu leben? Wir können uns abarbeiten, uns hetzen, zusammenbrechen. Wir werden damit unser Leben nicht verlängern. Ist Zeitsparen möglich? Nicht schnell, schneller, am schnellsten. Schritt-Atemzug-Besenstrich. Ruhe im Herzen. Beseelt von dem Geschenk der Zeit. Wohin sind wir denn gekommen mit all dem Stress, dem Wahn der Geschwindigkeit?

 

Die Menschen werden müde, nervös, freudlos, leer, verzweifelt, können nicht mehr träumen, meiden die Stille, weil in ihr die Sehnsucht ihrer Seelen erwacht. So geht es nach und nach allen Menschen, die den grauen Zeiträubern zum Opfer fallen. Die lachende Welt des Amphitheaters verschwindet. Die Zeit, in der es nichts Besseres für die Menschen gab, als fröhlich sein und sich gütlich zu tun im Leben, scheint vorbei. Wo ist sie nur geblieben? Das darf man sich täglich fragen. Komm doch zu Gott!

 

Weil Momo, das kleine Mädchen die Wahrheit kennt, dass nämlich Zeit nicht zu horten ist, und Gott die Ewigkeit in unsere Herzen gelegt hat, wie in Prediger 3, ist sie gefährlich. Ein grauer Herr besucht sie und beschenkt sie mit einer teuren Puppe ohne Seele, die den sinnlosen Satz sagt: Alle werden dich um mich beneiden. Momo stellt dem grauen Herrn, dem Agenten die nackte Frage, die die Welt aus den Angeln hebt: Hat dich denn niemand lieb? Und rührt ihn an mit ihrer Hand. Echte Berührung, Begegnung heilt, befreit, reißt Masken vom Gesicht. Geh doch zu Jesus.

 

Der Agent bricht zusammen und erzählt sein Geheimnis. „Wer die Zeit der Menschen besitzt, hat unbegrenzte Macht.“ Wer raubt mir meine Zeit, um zu lachen, zu tanzen? Wer nimmt mir die Zeit, um mit meinen Blumen im Garten zu reden? Wem gebe ich die Macht über das Leben in meinem Herzen? „Meine Zeit steht in deinen Händen. Nun kann ich ruhig sein, ruhig sein in dir. Du gibst Geborgenheit, du kannst alles wenden, gib mir ein festes Herz.

 

 Mach es fest in dir. Gott.“ Unsere grauen Herren von der Zeitsparkasse haben Namen. Jeder kennt seine eigenen. Wir hetzen durchs Leben, als ob wir noch eins im Schrank hätten.

 

 Hat uns denn niemand lieb? Was macht uns so Angst? Die Zeit gehört uns nicht. Ich bin hier und alles ist jetzt.

 

In der Welt Momos hört man nun kein Kinderlachen mehr und Beppo Straßenkehrer? Ist in der Psychiatrie gelandet.

 

Momo, die es so liebt, ihre Zeit zu verschenken, weil sie fühlt, dass Gott die Ewigkeit in ihr Herz gelegt hat, möchte die Menschen retten, den Betrug beenden, die gestohlene Zeit zurückbringen.

 

Eine Schildkröte, die ihrer Zeit, immer eine halbe Stunde voraus ist, holt Momo ab. Eine Schildkröte, bringt Momo und dazu muss sie rückwärtsgehen zu Meister Hora. Hora. Lateinisch für Zeit, altgriechisch für Stunde.  Er gibt Momo zu essen. Und sie aß. Und es war der Hunger vieler Jahre, den sie stillen musste. Hier kann sie ruhen, jenseits der Zeit. Sind es nicht Augenblicke der Gnade? „Machst du die Zeit?“ fragt Momo den weisen Meister Hora. „Nein“, sagt er, “was die Menschen mit ihrer Zeit machen, darüber müssen sie selbst bestimmen und sie verteidigen.“ Und weiter: „Wenn die Menschen wüssten, was der Tod ist, hätten sie keine Angst vor dem Tod mehr, dann könnte ihnen niemand mehr ihre Lebenszeit stehlen.“ Und Momo sagt: „Ich habe keine Angst“. Deshalb darf sie sehen, woher die Zeit kommt…wie im Märchen.

 

Und sie taucht ein in das Kreisen der Planeten, hört Stimmen, blickt in ein großes Gesicht, das sie anschaut und liebt, sie wird von etwas erfüllt, was größer ist, als es Angst je sein kann. „Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in unser Herz gelegt.“ Prediger 3,11.

 

Momo denkt, was sie gesehen hat, sei die Zeit aller Menschen, aber es ist nur ihre. Unsere Zeit ist für jeden von uns unfassbar groß, unbegreiflich. Und es ist Gnade spüren zu können, dass dieses Geheimnis in Gottes Händen steht. Wir sind geborgen.  Bleib doch bei Gott.

 

 Michael Ende verwendet für die Zeit, die Lebenszeit das Symbol der Stundenblume. Eine kostbare Blüte, die in den Herzen der Menschen blüht, bis sie verwelkt. Zeit ist Leben und das Leben wohnt im Herzen.

 

Ist es nicht berührend an eine Blüte zu denken, die in uns blüht, von Gott geschenkt? Ist es nicht unglaublich schlimm zu spüren, dass diese kostbare Blütenzeit bedroht ist, ständig bedroht ist von einem Haschen nach Wind, einem Schätze- sammeln auf Erden?

 

Was zählt? Womit möchten wir unsere Zeit füllen?

 

Momo will ihren Freunden von all dem erzählen, aber Meister Hora sagt: „Warten mein Kind, wie ein Samenkorn, das in der Erde schläft, einen ganzen Sonnenkreis lang, ehe es aufgehen kann. So lange dauert es, bis die Worte in dir gewachsen sein werden.“  Alles hat seine Zeit.

 

Dann wird die Zeit erfüllt sein. „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn“. Galater 4, 4. Erfüllte Zeit.

 

Zeit, in der ein Ereignis, ein Handeln seiner Fülle und Reife entgegenwachsen darf. Zeit der Gnade. Zeit des Heils. Zeit der Gerechtigkeit. Eine Schale, die sich füllt und zu der Zeit, die Gott, der die Allmacht, den Überblick hat, für uns sieht, vollendet wird.

 

Als die Zeit erfüllt ist, kehrt Momo zurück und nimmt den Kampf gegen die grauen Herren, den Zeitraub auf.

 

Meine Zeit steht in deinen Händen. Errette mich vor der Hand meiner Feinde, und vor denen, die mich verfolgen.

 

Momo, das Kind, das in den Himmel gesehen hat, wird vor den Zeiträubern gerettet. Sie kann den Menschen, ihre gestohlene Zeit zurückgeben. Die grauen Herren werden zu Asche und Rauch. Alle atmen auf.

 

Das lebendige Leben, diese Fülle aus Kraft und Licht, Gnade und Hoffnung haben gesiegt.

 

Zeit ist nicht Geld. Zeit füreinander ist niemals verlorene Zeit.

 

Zeit miteinander ist Heil und Leben.

 

Zeit ist Leben und das Leben ist wie eine kostbare Blume in unseren Herzen, mit jedem Herzschlag. Von Gott gepflanzt.

 

Halt an, wo läufst du hin?

 

Der Himmel ist in dir.

 

Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.

 

                                                                                    Angelus Silesius

 

Gott hat die Ewigkeit in unser Herz gelegt.

 

Unsere Zeit steht in seinen Händen.  Amen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Predigt, Sonntag Exaudi, 2. Juni 2019, 10.30 Uhr in Nattheim

 

Cornelia Elke Schray

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

vielleicht kennen Sie die Klagemauer von Jerusalem. Wer vor den mächtigen Steinquadern des alten Tempels steht, den überkommt ein ehrfürchtiges, sprachloses Staunen. Die Ritzen sind vollgestopft mit unzähligen kleinen Zettelchen und in jedem steckt ein verborgenes Anliegen, ein Gebetsanliegen. Generationen von Menschen haben hier gebetet, bis heute, voll Sehnsucht nach Gott.

 

Die jüdische Dichterin Nelly Sachs hat das in ein Gedicht, das in unserem Gesangbuch abgedruckt wurde, gefasst.

 

Die Klagemauer-

 

Im Blitz eines Gebetes

 

Stürzt sie zusammen

 

 

 

Gott ist ein

 

Gebet weit

 

Von uns entfernt.

 

 

 

Dieses Verlangen, ja Sehnen nach Gott hat dem heutigen Sonntag seinen Namen gegeben. Exaudi, Ex-audi, nach dem Vers aus Psalm 27. Herr höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und erhöre mich!

 

Sehnsüchtig wartet der Psalmbeter auf Gottes Gegenwart, auf sein Eingreifen und Helfen. Etwas von dieser Sehnsucht, lässt auch der Predigttext erkennen. Im Epheserbrief,

 

Kapitel 3, wird uns von einem Gebet des Paulus berichtet. Und das in ergreifenden Worten.

 

Ich lese Ihnen aus Epheser 3, die Verse 14-21

 

 

 

Lesen

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

nach einem langen Leben schaute sie sich noch einmal ihren Garten an. Sah den Flieder und die wilden Rosen. Redete am Zaun mit ihren Nachbarn. Konnte man mit 89 Jahren noch plötzlich und unerwartet sterben? Sie nicht.  Am Tag nach ihrem Spaziergang wurde sie schwächer und musste sich ins Bett legen. Von Stunde zu Stunde nahmen ihre Kräfte ab. So viel Arbeit hatte sie auf den steinigen Böden des Härtsfelds gehabt, als Bäuerin. Ihre Augen wurden hell, ihr Atem ruhig, als sie flüsterte: Gott ist da. Hier. Sie betete, ihr Gebet war ein Murmeln dessen, was sie schon in der Vorbereitung zu ihrer Erstkommunion, in den Jahrzehnten ihrer Gottesdienstbesuche, auswendig, mit dem Herzen buchstabiert und verinnerlicht hatte. Schätze, die sie nun trugen. Worte, die sie begleiteten, Kraft gaben für den Abschied aus dieser Welt. Ihr, aber auch ihren Kindern, die sie nicht mehr allein ließen und Hände sich hielten, wo Worte fehlten.

 

Gott war in jedem Augenblick nur ein Gebet weit von ihr entfernt. Sie starb nach fünf Tagen, früh am Morgen, umgeben von ihren Lieben und den Frühsommerblumen aus ihrem Garten.

 

 

 

„Wir müssen anhalten.“ Sagt mir meine Tante am Telefon. Kurz muss ich nachdenken. Sie ist mit Leib und Seele der Frömmigkeit des Pietismus, den Gebeten der Väter und Mütter verbunden. Nicht engstirnig, sondern fröhlich. Vertrauend, lebensbejahend. Mir wird klar, was sie meint. Mehrere tragische Todesfälle säumen den Weg ihres Lebens und haben sie beten, aber auch voll Vertrauen leben gelehrt.

 

„Wir müssen anhalten- wir müssen anhalten im Gebet.“

 

Welch tiefe Wahrheit steckt in diesem so schlichten, etwas altertümlichen Satz. Beten kann man immer und überall, in der Küche, an der Werkbank, ganz oft im Auto, es gibt Stoßgebete, Hilferufe, das gemeinsame Gebet der Gemeinde in der Kirche.

 

Und es gibt dieses Anhalten im Gebet. Ich stelle mir da ein ganz bewusstes Stillstehen vor. Alles andere muss warten, bis ich mit Beten fertig bin. Ich halte an, ich renne nicht mehr weiter von einer Aufgabe zur nächsten, ich halte an und konzentriere mich mit jeder Zelle, jeder Faser meines Seins auf das Gebet zu Gott. Damit er bei mir ist.

 

Wir müssen anhalten im Gebet. Das ist unfassbar, unglaublich viel. Dass ist das Niederknien, mein Knie beugen, von dem Paulus spricht, vor dem Allmächtigen, dem Schöpfer von Himmel und Erde. Anhalten im Gebet, ist die bewusste Entscheidung, das Gebet in meinem Alltag an die oberste Stelle meiner Erledigungsliste zu setzen.

 

Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt. Das ist doch eine Entfernungsangabe, bei der man sich gerührt, berührt ans Herz fasst.  Gott ist da. Und da ist dieses, mal zärtliche, mal donnernde Gespräch zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch, das Gebet.  Gesprochen, gemurmelt, geflüstert, auf Zetteln oder einfach im Herzen. Worte, die die jenseitige Welt öffnen, deutlich machen, dass wir mit allem, was wir sind, bereits mitten in Gott sind, von ihm umgeben, umhüllt, von seiner Kraft erfüllt.

 

Gerade da, wo wir an unsere Grenzen kommen, uns die Worte fehlen, das Anhalten im Gebet ein stummes Flehen ist, kommt uns die Güte und Liebe Gottes mit Freuden, so viele Schritte entgegen, wie es notwendig ist, damit es uns leichter ums Herz wird.

 

Knie beugen vor dem Vater, der rechte Vater über alles, was da Kinder heißt, im Himmel und auf Erden.

 

So die Worte an die Gemeinde in Ephesus.

 

 

 

Es mag sein, dass wir uns im Leid gefangen fühlen, das Leben uns überfordert und bitter macht. Das man den Eindruck hat, Gebete würden an den Wänden und Kerkern der Dunkelheit abprallen, als Echo zurückgeworfen.

 

Aber das Gebet übersteigt Mauern, überwindet Schloss und Riegel, Ängste, Todeswünsche, Verzweiflung und atmet am Ende, Freiheit, Licht, unerschöpfliche Fülle.

 

 

 

Paulus betet zum Vater, zum Vater Jesu Christi. Der deshalb auch sein Vater und unser aller Vater ist.

 

Vom Sterbebett bis zum Vater im Himmel ist es nur ein Gebet. Die Entfernungsangabe stimmt.

 

 

 

Paulus betet für seine Gemeinden. In der Fürbitte kann er seinen Gemeinden ganz nah sein. Das Gebet überwindet Raum und Zeit.

 

Mit seinen Worten betet er für uns heute.

 

„Dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist am inwendigen Menschen, das Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne, und ihr in der Liebe eingewurzelt seid.

 

 

 

„Stark werden am inwendigen Menschen.“ Stellt es sich nicht gerade da ein, wo wir schwach sind? Wo wir nicht weiterwissen und uns, öffnen, auf Jesus bauen und

 

ein Gebet sprechen, das unser Herz weit macht, so weit, dass der Himmel darin Platz hat. Gott einziehen kann. Jesus uns ganz nah ist.

 

Ein Gebet, das uns die Weite Gottes atmen lässt, die ein Herz hüpfen lässt, sich anfühlt wie Glück. Obwohl die Antwort zuerst noch Tod hieß.

 

Wir Menschen haben Angst, wir könnten was verpassen, wenn wir anhalten. Wie sagen manche in einer Mischung zwischen Witz und Ernst: Wer bremst, verliert.

 

Immer mehr, immer schneller.

 

Wer bremst, um zu beten, verpasst sicher nichts.

 

Wo Gott in den Herzen eines Menschen wohnt, ist das mit dem Verpassen von Chancen, Gelegenheiten und keine Zeit haben, anders.

 

Wir können frei werden und anhalten im Gebet. Befreit werden davon, dem Leben hinterher zu jagen. Das Leben ist schon da. In den Augen des Menschen, der neben Ihnen sitzt, in der Apfelblüte, im Licht der Sonne. Das wirklich Wertvolle, gibt es nämlich umsonst, da müssen wir keine Überweisung von Geld tätigen.

 

Gott, ein Gebet weit entfernt, folgt nicht den menschengemachten Gesetzen unserer Welt, nur denen, die er erdacht hat.

 

 

 

Und wie wohl tut dieses Gefühl der Nähe und Weite Gottes, die Stille des Anhaltens im Gebet.

 

Viele von uns, sind von Ängsten und Depressionen niedergedrückt, ihr Mut ist Schwermut und gefangen.

 

Wie sehr brauchen wir da eine Hand, die unsere Seele, wenn wir mal im freien Fall sind auffängt.

 

Nein, das Loch ist nicht bodenlos und die größte Klagemauer vor uns, stürzt im Blitz eines Gebetes zusammen, schreibt Nelly Sachs.

 

Das gilt selbst am Sterbebett. Der Mensch fällt in die weit ausgebreiteten Arme Gottes.

 

 

 

Im Gebet ist Gott zu erleben. Oder wie Paulus beschreibt:

 

„So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen,  welches die Breite und Länge und die Höhe und Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, mit der ganzen Gottesfülle.“

 

 

 

Erfüllt mit der Fülle Gottes. Das ist das Ziel, das letzte und größtes Ziel des Gebetes. Erfüllt sein mit der Kraft des lebendigen Gottes, getragen von seiner Güte, durchdrungen von seiner Liebe.

 

 

 

Am Sonntag Exaudi- „Herr höre meine Stimme, wenn ich rufe“, warten wir auf die Fülle Gottes, dass sie uns überfällt und umgibt, dass wir von ihr gehalten und gesegnet sind. Dass sie sich über uns ergießt im Wunder von Pfingsten.

 

 

 

Davon schreibt Alfred Delp, Widerstandskämpfer im Dritten Reich, kurz vor seiner Hinrichtung in sein Tagebuch.

 

 

 

„Innerlich habe ich viel mit dem Herrgott zu tun und zu fragen, dran zu geben. Das eine ist mir so klar und spürbar, wie selten:

 

 

 

 

 

 

 

Die Welt Gottes ist so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen.

 

Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und schweren Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend.

 

 

 

In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingegebene Antwort.“

 

 

 

Beeindruckende Worte, ohne Hass. Mit Liebe und Hingabe,

 

Gott ist große Liebe. Eine Liebe, die alles trägt und hält und von innen her erfüllt. Nichts ist wirklicher, wahrhaftiger als sie. Und Beten heißt: In diese Liebe Gottes eintauchen. Erfüllt und geformt werden von ihr. Darin aufgehen. Sich darin zu verlieren und gefunden werden.

 

Das werden, was wir vor Gottes Angesicht schon sind:

 

Sein geliebtes Kind und Ebenbild.

 

Täglich eingetaucht in seine Nähe.

 

 

 

Gott ist ein Gebet weit entfernt. Halten wir doch inne, halten wir an im Gebet.

 

Amen.

 

 

 

 

 

Stille 

 

 

 

 

 

 

Predigt Sonntag Okuli 24.03.2019

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

es war gestern vor einer Woche. Stuttgart, Königstraße, 13.30 Uhr. Die Sonne bricht durch die Wolken, es sind viele Menschen unterwegs. Wir haben gerade Pizza gegessen. Frühling liegt in der Luft.  Wir lachen und das Leben ist gut. Plötzlich sehen wir uns einem Straßenprediger gegenüber, der uns ein großes Plakat vor die Nasen hält. „Das Gericht ist nah. Kehrt um zu Gott.“ Mein Mann runzelt die Stirn, unsere Tochter guckt mich an. Das Gericht ist nah. Okay. Als angehende Archäologin weiß sie, dass kein Reich dieser Welt bisher Bestand hatte, was sie ausgräbt im Burgund oder im nahen Lonetal, sind stumme, aber wertvolle Zeugen der Geschichte. Und Geschichte ist immer Bewegung. Ein Auf und Ab, ein Kommen und Gehen.

 

Wir gehen weiter. Der junge Mann tut mir leid. Ich würde ihn gerne zu einem Stück Kuchen einladen, mit ihm die ersten Blumen am Schlossplatz ansehen, aber er ist überzeugt, dass er möglichst viele Seelen mit seiner Methode retten muss. Und nein, er wirkt nicht erlöst, sondern unglücklich. Wie traurig.

 

In unserem heutigen Predigttext hält Jeremia, auch einst angetreten, die Welt zu verändern, Gott ziemlich heftig vor, was aus ihm, dem Propheten und Straßenprediger geworden ist.  Seine Worte sind schwer zu ertragen.

 

 

 

 

 

Ich lese aus Jeremia 20, 7-13

 

Liebe Gemeinde, ist das nicht irgendwie vertraut? So kann es gehen, das Leben.  Es ist zu viel. Einfach zu viel. Immer wieder. Es wird mehr verlangt, als wir leisten können.

 

Mit Begeisterung ging es los nach der Schule. Neue Wege, neue Aufgaben. Ein Kind, zwei, vielleicht ein drittes. Das Haus, das gebaut wird. Ideen und Ziele, Pläne und Visionen.

 

Zwanzig Jahre später. Müdigkeit, Frust. Krankheit. Jeden Morgen der Kampf gegen die Windmühlen des Alltags. Was haben wir uns dabei nur gedacht? Das hört ja nie auf. Dieses Theater mit dem Leben. Oder: War das alles? Kommt da noch was Besseres?  Wie soll ich den Druck aushalten? Welche Katastrophe wartet heute auf mich heute?

 

Jeremia klagt auch. Schon damals, als Gott ihn zum Propheten berufen hat, wollte er die Aufgabe nicht haben. Er handelt mit Gott. „Ach nein, Herr, ich bin zu jung. Ich kann nicht reden.“ Doch Gott wischt seine Einwände vom Tisch des Lebens. Nach Jahren als Prophet hat er nun genug. Es hagelt Vorwürfe. Man unterstellt ihm zu lügen und die Menschen zu verführen. Jeremia leidet. Die Anfeindungen zermürben ihn. Jeder, der an der Front, in der Öffentlichkeit steht, kennt das. Man kann es beileibe nicht allen recht machen und es gibt Tage, da wächst weder Gras über die Sache noch das berühmte dicke Fell für die Seele.

 

Jeremia steckt in einem Dilemma.

 

Er fühlte sich jahrelang von Gott ermutigt. Er wusste sich getragen und unterstützt.  Er erlebte Gott an und auf seiner Seite und hatte deshalb die Kraft, dem Gerede zu widerstehen.  Gott war da. Und Jeremia hat sich daran festgehalten.

 

Nun passiert ihm etwas menschlich-allzumenschliches. Er hat einfach genug. Ein Tropfen und das Fass läuft über. Er vertraut Gott nicht mehr. Er tut sich mit Glauben schwer.  Er fühlt keinen sicheren Boden mehr unter seinen Füßen. Das Wort Gottes, das seine Speise war, so oft er es hörte und zugesprochen bekam, was ihm Freude und Trost war, beschreibt er nun als Hohn und Spott.

 

Das ist eine seelische Naturkatastrophe, ein Erdbeben.  Jeremia leidet an Gott. Und an sich selbst. Denn, irgendwie fühlt er sich ja auch schuldig. Er der Prophet, der Straßenprediger, soll, muss doch glauben, vertrauen, Gott verkündigen. Erlöst aussehen, damit die Menschen an seinen, an ihren Erlöser glauben können.

 

„Du hast mich überredet“. Sagt er. War der Dienst nicht seine Idee? War die Berufsausbildung eigentlich der Wunsch der Eltern? Wer bin ich? Was will ich? Was wird geschehen?

 

„Ich habe mich überreden lassen“. Da hat jemand solange über meine Berufung geredet, bis ich überredet war. Was sagt mein Herz?

 

Jeremia klagt. Und ja.  Lieber ehrlich klagen, als erzwungen dankbarsein müssen. Sie wissen ja. Gott macht keine Fehler. Gottes Wege sind immer gut. Gott wird schon wissen, warum du so leiden musst. Wer das in der Not um die Ohren gehauen bekommt, ist bedient.

 

Ihm ist nicht geholfen, es geht ihm damit nicht besser. Er wird noch weiter hinab in den Abgrund gestoßen, weil Menschen unbeantwortbare Fragen unbedingt beantworten wollten.

 

Jeremia klagt und lässt dabei nichts aus. Schonungslos.

 

„Ich will nicht mehr in deinem Namen predigen.“ So fühlt er sich. Unverstanden, wie in einem dunklen Raum, eingezwängt in das Korsett seiner Tränen. Unfähig sich zu wehren. Was soll er auch noch sagen? Die Welt geht doch nicht unter, ich habe mich geirrt, lass uns Kuchen essen gehen… So einfach nicht.

 

Für Jeremia scheint jedes Gespräch mit anderen unmöglich. Angst beschleicht ihn, noch mehr gedemütigt und angefeindet zu werden. Überall, alle gegen ihn. Heutzutage nennt man das im Internet recht deutlich Shitstorm. Da wird, soviel Übles, Unrat, Abfall, Unwahres in einer ungeahnten Fülle über jemanden ausgekippt, dass der sich im schlimmsten Fall das Leben nimmt. Wohin mit all der Not?

 

„Verklagt ihn“ so in Vers 10, „Schrecken um und um.“ All seine Freunde lauern, ob er nicht endlich zu Fall kommt.

 

Seine Freunde. Das ist ja noch schlimmer, selbst die lästern und sind am Gehen.

 

„Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen“.

 

Alles also keine Erfindung der Neuzeit. Mobbing. Alle gegen einen. Unfair. Radikal. Unmenschlich. Das gibt es sogar innerhalb von Verwandtschaften. Einer wird abgeschossen, rausgeworfen, Kontaktabbruch, üble Nachrede. Schluss. Aus.

 

Das kann nicht das Ende sein. Gott ist immer noch größer.

 

In Vers 11 dämmert dem todmüden Propheten Jeremia die Lösung, die Erlösung.

 

„Aber der Herr ist mir ein starker Held.“

 

Diese Erkenntnis kann eine Not zum Guten wenden. Jeremia hat sich in die Abgründe seiner Not begeben. Er war so offen, wie wir doch nur in ganz seltenen Augenblicken sind. Um so offen zu sein, wie Jeremia, muss man vertrauen, sich sicher sein, dass diese Worte nicht geben einen verwendet werden. Am Tiefpunkt des Lebens, erzählen wir, was uns wirklich bewegt und belastet, oder wir verstummen ganz. Über das Wetter reden wir da nicht.

 

Wenn es gut geht, sind wir noch nahe genug am Ursprung, beim Schöpfer und können Gott erzählen, was bei Gott auch sonst keinen anderen etwas angeht.

 

Der Herr, ist mir ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Das verändert die Blickrichtung. Hier bin ich. So wie ich bin. Auf dieser zerbrochenen Welt. Im Angesicht Gottes.

 

Albert Frey hat diese Situation in einem Lied in Worte gefasst.

 

„Herr ich komme zu dir, und ich steh vor dir so, wie ich bin.

 

Alles was mich bewegt, lege ich vor dich hin.

 

Herr ich komme zu dir, und ich schütte mein Herz

 

bei dir aus.

 

Was mich hindert, ganz bei dir zu sein, räume aus.

 

Meine Sorgen sind dir nicht verborgen,

 

du wirst sorgen für mich.

 

Voll Vertrauen will ich auf dich schauen. Herr ich baue auf dich.“

 

 

 

Jeremia kann Gott nicht aufgeben. Trotz aller Zweifel. Heutzutage sollen wir allem in unserem Leben einen Sinn geben, sollen für unser Glück und Unglück selbst verantwortlich sein. Müssen angeblich mit allem klarkommen, selbst die angemessene Zeit des Trauerns ist ärztlich definiert. So ist es nicht. So geht es nicht.

 

 

 

Aber es kann etwas Neues beginnen. Oft ganz unmerklich über Nacht, wächst neue Hoffnung und das Dunkle hat doch nicht gesiegt. Am Ende der Nacht wartet ein neuer Tag. Unglaublich. Unbegreiflich.

 

Wie das geschieht, dass wir in einer verzweifelten Situation wieder neue Hoffnung schöpfen, lässt sich nicht genau sagen. Wichtig ist ein Gegenüber, vor dem wir unsere Zweifel, unsere Verzweiflung aus uns heraus entlassen können.

 

Dann können wir zugeben, dass wir Hilfe brauchen und diese Hilfe auch annehmen.

 

 

 

Dabei kommt eine neue Leichtigkeit in unser Leben zurück. Ideen, Kraft, neue Interessen kommen zu uns. Wir spüren wieder früher gekannte, längst vergessene Gefühle, die im Nebel des Leides und der Niedergeschlagenheit auf der Strecke geblieben waren.

 

 

 

Wir können aufatmen, Gott ganz nahe sein. Es wird wieder heller in uns. Wir können lachen. Die alte Not winkt uns ab und zu, noch zu. Okay. Aber sie kann uns nicht mehr gefangen nehmen, uns ganz und gar besitzen.

 

Die Probleme sind nie alle gelöst. Es können neue auftauchen.

 

Aber wir stehen auf weitem Raum und haben wieder eine Zukunft. Was Besseres als keinen Ausweg-finden wir doch allemal und überall.

 

 

 

Genau das erlebt Jeremia. Er ist ehrlich vor Gott. Er lässt sich in diesen Urgrund fallen, weil ihn der Abgrund bedroht. Das ist so leicht und so schwer.

 

 

 

In den letzten Versen des Predigttextes bittet er schließlich noch um Gottes Rache. „Ewig wird ihre Schande sein“. „Lass mich deine Vergeltung an ihnen sehen.“

 

 

 

Wir wissen um die Worte Jesu. Um das Neue Testament. Um diese schweren Sätze „Liebe deine Feinde, tut wohl, denen die euch hassen.“

 

Wir wissen um das große Wort: „Der Herr wird für euch streiten und ihr werdet stille sein.“ Aus 2. Mose.

 

 

 

Das kann uns entlasten, befreien. Wir müssen nicht Rache üben und können unseren Feinden, Widersachern, Gegnern, all den Lästermäulern in die Augen sehen. Frei, offen, liebevoll.

 

 

 

Wir können uns um das Gute kümmern. Leben, lachen und lieben. 

 

 

 

Singet dem Herrn, rühmet den Herrn, der Armen Leben aus den Händen der Boshaften errettet.

 

 

 

Ein Satz, der so unglaublich aktuell ist. Der Armen Leben befreien, retten.

 

 

 

Wir sind alle immer mal wieder wie Jeremia. Mit dem Recht zu klagen. Ehrlich und ungeschönt. Aber auch mit dem Mut anzuvertrauen, zu vertrauen.

 

Wir wissen, es wird wieder geschehen, hier auf dieser Erde. Wir werden wieder in Not geraten, wieder Angst haben, leiden, verzweifeln. All das aber ist auch vergänglich. Man glaubt es kaum. Die längste Nacht endet und wir können in ein Loblied einstimmen.

 

 

 

„Herr ich komme zu dir und ich steh vor dir, so wie ich bin.

 

Meine Sorgen, sind dir nicht verborgen,

 

du wirst sorgen für mich.

 

Voll Vertrauen will ich auf dich schauen, Herr ich baue auf dich.

 

 

 

Gib mir ein neues ungeteiltes Herz.

 

Lege ein neues Lied in meinen Mund.

 

Fülle mich neu mit deinem Geist.“ 

 

 

 

Amen.

 

 

 

 

 

Wenn die Last der Welt dir zu schaffen macht, 618, 1-3

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Predigt vom 27.01.19 über 2. Mose 3, 1-14 in   Hermaringen

 

Liebe Gemeinde,

Ein Tag wie jeder andere. Er hatte sich eingerichtet in seinem neuen, anderen Leben. Was blieb ihm auch anderes übrig?  Ein Mensch war von seiner Hand gestorben. Das ließ sich nicht rückgängig machen und veränderte alles.

Als Totschläger konnte er nur fliehen. Er musste alle Brücken abbrechen, fernab der Heimat eine neue Existenz aufbauen. Seine herausgehobene Stellung, seine gute Erziehung, ja das Wunder seiner Errettung, als er noch ein Säugling war, in einem Korb, ausgesetzt auf dem Wasser, alles, seine große Geschichte, die so wunderbar begann, musste er zurücklassen. Unter neuen Vorzeichen, als einfacher Hirte fristete er sein Dasein. Nur so konnte er sich vor dem Zugriff der Verfolger schützen und davor, dass ihn seine Vergangenheit einholte. Er erwartete nichts mehr für sein Leben. Das war’s- für Mose.

 

Ein Tag wie jeder andere wird für ihn, zu einem außergewöhnlichen, unvergesslichen Tag. Hören Sie selbst:

 

 

Lesen des Predigttextes: 2. Mose 3, 1–14

 

Nach vielen Jahren in der einsamen Wüste begegnet Gott Mose und zeigt ihm, was er von ihm will. Gott wird für Mose zum jetzt und hier Gegenwärtigen, und zwar so, dass es keine Zweifel mehr gibt.

Mose soll vom flüchtigen Mörder zum Befreier und Gesetzgeber des Volkes Israel werden. Gott offenbart ihm, wer er ist und was seine Lebensaufgabe ist. Gott zieht unter das bisherige Leben von Mose einen Strich, und beginnt neu.

Das gefällt mir. Das mache ich mir zum Beispiel. Gott komm und kratze die Krummen meines bisherigen Lebens zusammen und lass uns mal gucken, was noch werden kann.

Was für eine Einladung Gottes an Mose. An uns alle. Gott möchte mit Menschen unterwegs sein und eine kraftvolle, lebendige Beziehung mit uns. Wenn diese Einladung beherzigt wird, verändert sie das Leben eines Menschen. Das wird an Moses Geschick sichtbar.

Mose bricht ins Ungewisse auf und lässt sich rufen. Er wendet sich dem Leben zu. Sein Leben bekommt einen Sinn, ein Ziel. Kapitulation vor dem scheinbaren Schicksal? Nein danke! Selbst für einen Totschläger geht es weiter.

Lassen sie uns genau hinschauen, was solche verwandelnde Begegnungen mit Gott ausmacht. So bekommen wir ein besseres Gespür dafür, wie umwälzend die Gegenwart Gottes auch in unserem Alltag sein kann.

 

Da ist zunächst ein brennender Dornbusch.

Dornbüsche sind typische, alltägliche Gewächse in der Wüste. Sie sind das, was dort wachsen kann. Mose sieht sie alle Tage, doch dieser jetzt ist ganz anders. Er brennt lichterloh, verbrennt aber nicht. Kann das sein? Das kann nicht sein. Wenn der Baum, der Busch brennen, ist hinterher Asche übrig, nicht der Baum…

Unerklärlich, geheimnisvoll. Im Banalen tut sich für Mose etwas Unerwartetes auf.

Das bringt seine Vorstellungskraft an die Grenzen. Er kann es sich nicht erklären. Seine Neugier ist geweckt.

Und wer neugierig ist, will mehr sehen.

In dieser Neugier ist mir Mose ganz nah. Es ist, als ob er mich an die Hand nehmen würde und sagen: Komm, du willst es doch auch wissen. Du willst doch auch sehen, was Sache ist.

Du willst doch auch um die Ecke sehen, ob sich da ein Wunder, ein Schatz, ja Neuland verbirgt.
Die Sehnsucht nach Mehr kommt zum Klingen. Es ist eine Sehnsucht nach einer tieferen Wirklichkeit, nach dem Geheimnis der Welt, nach Gott.

Findet er das, was zählt und die Welt im Innersten zusammenhält? Wohin mit uns Gott, möchte ich gerade manchmal fragen. Zeig mir bitte auch einen brennenden Dornbusch. Ich will verstehen, nicht nur ahnen. Und ja, ich möchte dich doch sehen. Ich könnte wohl leichter glauben…Aber ich weiß, erst wenn ich tot bin, ein neues Leben haben werde bei Gott, kann ich Ihm in die Augen sehen. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich's stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. So in 1. Korinther 13.

Da ist Mose. Erst spürt er nur ein zwiespältiges Gefühl. Er fühlt sich angezogen und zugleich bekommt er es mit der Angst zu tun. Dieses irritierende Gefühl erfasst Menschen, wenn sie der unbegreiflichen Heiligkeit Gottes begegnen.

Es ist Gott, der ihm im brennenden Dornbusch erscheint. Er erscheint ihm, mitten in seinem Alltag. Das zeigt: Es gibt keinen Platz, keine Situation, in der Gott nicht erfahren werden kann. Und sei die Situation noch so alltäglich.

Mit einem Mal kann sich der Himmel auftun, unerwartet, überraschend. Wie ein Riss in der Wirklichkeit, der tiefer blicken lässt. Da ist er: Der Moment des Erkennens. So war das also gemeint.

So wie Mose kann es jedem Menschen widerfahren:
In einer Begegnung, in einem alltäglichen Gegenstand, bei einem Ausblick, in einer Krise. Gott sei Dank, ist vor Gott nichts sicher.

Und dann sind da die Sandalen.

 Auf Gottes Geheiß zieht Mose sie aus. Die Begegnung mit Gott fordert Ehrfurcht.

Sie lädt ein zum bewussten Innehalten. Und dies beginnt damit, dass man heraustritt aus dem Alltäglichen.

 

Damit, dass man Abstand nimmt von den gewohnten Lebens- und Sichtweisen. Hier die alten Wege, da der Impuls, etwas neu zu denken. Leben ist lebendig.

 In vielen Ländern der Erde ist es üblich, dass man beim Betreten eines Hauses seine Schuhe auszieht, den Staub der Straße draußen lässt.

Eine Geste der Achtung vor den Bewohnern.

Und: In Finnland z.B. sagt man, dass wer seine Schuhe nicht trägt, friedlicher gestimmt ist.

Weil man eine gewisse Sicherheit aufgibt, einen Teil der Rüstung, der Kleidung.  Man kann nicht mehr so schnell fliehen.

Mose lässt also los, was ihm Sicherheit gib, er zieht seine Schuhe aus. Ohne diese sind seine Füße verwundbar. In der Wüste noch mehr als in einem Haus.

Er ist unsicher und voller Angst. Aber zugleich auch offen und bereit, sich Gott auszusetzen, dem Ruf ins Unbekannte zu folgen, dem Ruf zu einer geheimnisvollen und auch furchteinflößenden Begegnung mit Gott.

 Mose gibt Sicherheiten, seine Schuhe auf.

 Er verzichtet auf alles Bescheid- und Besserwissen und lässt sich auf die Wirklichkeit Gottes ein.

Und mit einem Mal nimmt er anders wahr. Er hört. Seine inneren, seine geistlichen Sinne sind erwacht und er nimmt die Stimme Gottes wahr. Sie trägt ihm auf: Geh zum Pharao und führe mein Volk aus Ägypten.

Gesehen hat er Gott nicht. Kein lebender Mensch kann das wirklich. Darum der Dornbusch? Wie eine leuchtende Fackel in der Dürre. Ein Naturwunder. Gott, der uns Unsichtbare, findet Mittel und Wege, um bemerkt zu werden, wenn es im Leben, ja auf dieser Erde brennt…

 

 

Fragen drängen sich auf. Existentielle Fragen:

 Wer bin ich eigentlich? Und vor allem:  Wer bist du, Gott?

Mose ist verstört. Seiner gewohnten Sicherheit entkleidet sieht er, wie begrenzt er ist.

Alles wird fraglich. Sein Bild von Gott und von sich selbst bekommt Risse.

Wer bin ich? Bin ich gut genug? Wer bin ich abgesehen von dem, was andere von mir denken?

Ich kenne dich nicht, sagten mir Menschen vor Jahrzehnten, wenn ich nicht mehr ihrem Bild entsprechen wollte. Das tat weh. Ich bin doch mehr als das, was andere von mir wollen und denken. Ich bin ein Kind Gottes. Seht ihr das nicht? Und wenn ich mir meiner selbst bewusst bin, frage ich weiter. Wer bist Du, Gott? Was willst Du gerade von mir? Gott hat die Welt erschaffen, er weiß wie sie tickt. Deshalb verschwindet Moses bisheriges Leben nicht. Er bleibt Mose. Doch er hat ein neues Ziel, einen Auftrag. Er wird vom geflohenen Straftäter zum Mittelsmann für Gott.

Er soll den geschundenen Israeliten zeigen: Gott ist mit euch. Er soll ihnen sagen: Gott sieht eure Not.

 Voller Erbarmen richtet er seine Augen auf euch.

Das ist die zentrale Botschaft aus der Mitte allen Lebens. Hier ist der wichtigste Vers des heutigen Textes:

 Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt! Und sie zu mir sagen: Wie ist sein Name? Was soll ich zu ihnen sagen? Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: Ich werde sein, der hat mich zu euch gesandt.

Ich werde sein, der ich sein werde. Der ewig Neue, Kraft von unermesslicher Kraft, Licht von unerschaffenem Licht.  Macht euch kein Bild, es wäre nie vollständig….

Gottes Name ist »Ich bin. Ich bin mit Dir«. Schon dieser Name ist für uns, wie für Mose eine Einladung.

Dieser Name lädt uns ein, unsere Aufmerksamkeit auf das zu richten, was in uns werden will.

Wer Gottes Name hört, kann seine Hoffnung auf ein Leben in Freiheit ausrichten. Und auf den weiten Raum, in den Gott unsere Füße stellt. Wer Gottes Namen hört, der hat den menschenliebenden Gott vor Augen, der Beziehung zu uns sucht.

Und er sieht ihn zugewandt, mitleidend, helfend, herabsteigend. Gnädig. Mit erbarmendem Herzen.

 

Die Begegnung mit Gott verwandelt Mose.

Doch jetzt kommt für Mose der Abstieg in die Wirklichkeit der Welt. Er muss den Ruf Gottes in der gebrochenen, alltäglichen Welt umsetzen.

Wir nehmen Moses Widerstand wahr: »Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten?«

 Immer wieder begegnet uns in der Geschichte des Auszugs aus Ägypten dieses Ringen.

Wir sehen seine Schwierigkeit, die Herausforderung anzunehmen: Gottes Werkzeug bei der Befreiung seines Volkes soll er werden. Doch die Begegnung mit Gott gibt ihm den Mut, die Stärke und die Einsicht, die Herausforderung anzunehmen.

 Er kann seinen eigenen Ängsten ins Gesicht schauen. Er kann wahrnehmen, welche Widerstände und Begrenzungen in ihm sind, Gottes Auftrag zu erfüllen. Es ist seine Lebensaufgabe geworden. Er weiß sich eingebunden in die Geschichte Gottes.

 Denn es ist derselbe, der seinen Voreltern, Abraham, Isaak, Jakob nahe war.

 

 

 

Er wird auch in Zukunft gegenwärtig sein. Auch uns.

Mose ist in die Geschichte Gottes mit seinem Volk hineingezogen. Und er findet sich wieder in einem weiten Raum.

 

Darin ist seine Angst geborgen. Davon werden seine Hoffnung und Zuversicht genährt.

 

Es ist eine Sache, Gottes Gegenwart zu erleben. Es ist eine andere, aus dieser Begegnung mit Gott zu leben.

Mit offenen Augen und wachen Sinnen Ausschau zu halten nach Gottes Wirklichkeit, die uns umgibt. Zuweilen ist sie verstörend erfahrbar, zuweilen glaubend zu erahnen.

 

Liebe Gemeinde!

Tragen Sie auch die Sehnsucht in sich, dem lebendigen Gott zu begegnen?

Die Sehnsucht zu erfahren, wofür Sie geschaffen wurden und was Ihre Lebensaufgabe ist? Sie können dafür bei Mose lernen.

 

Gott, der Heilige, begegnet uns im Alltag, nicht nur an besonderen heiligen Orten. Er kommt uns in Momenten und Situationen nahe, in denen wir gar nicht mit ihm rechnen und die wir leicht übersehen können. In unseren Leben scheint Gottes Gegenwart durch. Aber er nötigt uns nichts auf. Es liegt an uns, unsere Schuhe auszuziehen, verwundbarer zu sein, innezuhalten, ins Hören zu kommen. Es liegt an uns, uns überraschen zu lassen und vorgefasste Bilder loszulassen.

 

 

 

 

Gott zu begegnen, lässt uns nicht unberührt, wenn wir uns darauf einlassen. Gott begegnet uns im Alltag aller Tage, und die sind in ein neues Licht getaucht. Es ist das Licht des Erbarmens.

 

Die Begegnung mit Gott ermutigt uns, aus und in und mit seiner Gegenwart zu leben. Jeden Tag. Gebe Er uns zum Wollen das Gelingen.

Amen.

 

 

 

Sonne der Gerechtigkeit, 262, 1-7

 

 

 

 

 

Predigt 14.10.2018

 

Söhnstetten,

 

1.   Korinther 7, 29-31

 

 

 

Gnade sei mit euch und Friede, von dem, der da ist, der da war und der da kommt. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

 

unser heutiger Predigttext aus 1. Korinter 7, ist mit den drei Versen 29- 31 so kurz, dass ich mich gut dafür entscheiden konnte, ihn in zwei Übersetzungen vorzulesen. Hören Sie zuerst die aus der Lutherübersetzung 2017:

 

Das sage ich aber, liebe Brüder: Die Zeit ist kurz. Auch sollen die, die Frauen haben sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht.

 

Und aus der Übertragung „Hoffnung für alle“

 

Denn eines steht fest, Brüder: Wir haben nicht mehr viel Zeit, für den Herrn zu arbeiten. Deshalb sollen sich jetzt auch die Verheirateten so für den Herrn einsetzen, als wären sie nicht verheiratet. Weder Trauer noch Freude sollen uns daran hindern, Gott zu dienen. Was wir besitzen, sollte uns nicht davon abhalten, mit anderen zu teilen. Verliert euch nicht an diese Welt, auch wenn ihr in ihr lebt. Denn diese Welt mit allem, was wir haben, wird bald vergehen.

 

Liebe Gemeinde,

 

die Zeit ist kurz. So weit so schlecht. Die Zeit ist zu kurz, um miteinander in Ruhe zu reden. Deshalb schnell eine SMS, eine WhatsApp, eine winzigkleine E-Mail. Die Zeit ist zu kurz, deshalb kein Gericht mit Liebe gekocht, sondern das erst beste, aufgewärmt. Und das schmeckt man dann auch. Keine Zeit, um zu lesen? Dann eben schnell die Überschriften aus der Zeitung. Wird schon schiefgehen, das Wichtigste steht doch eh in dicksten Buchstaben. Und wenn nicht? Die Zeit ist kurz, deshalb eben überall, auf allen Kanälen, das Bild eines 28jährigen brennenden Demonstranten aus Venezuela, das 2018 einen der wichtigsten Preise für Fotografen gewonnen hat. Was aber, wenn sich bereits der erste Blick so tief in mich eingebrannt hat, dass ich es viele Wochen nicht mehr loswerde, es sich einreiht neben all den anderen Horrorbildern von verhungernden Kindern im Jemen und gequälten Tieren, die ständig aufschreien in mir. Die Zeit ist kurz und es war eben nicht möglich, zurückzutreten und frei zu entscheiden, was ich sehen und wovor ich mich schützen möchte. Was will ich wirklich? Was ertrage ich? Ich lebe ja nicht in einer einsamen Hütte in Lappland, sondern hier.

 

Die Zeit reicht nie. Immer gibt es noch mehr zu tun, noch mehr Aufgaben. Und die am besten perfekt. Dabei sind Qualität und Quantität eigentlich ein Widerspruch. So gut, so schnell, so viel wie möglich? Alles in einem Gehirn. Unmöglich.

 

Aber, die Zukunft steht vor der Tür. Das von dem immer mehr Menschen fürchten, dass sie es nicht haben werden. Weil sie nicht wissen, was kommt. Weil es furchtbare Angst macht, was wir täglich hören und sehen …. müssen.

 

Die Altersvorsorge, den Kindern und Enkeln tragfähige Werte vermitteln, was für das Weltklima tun. Menschen integrieren, gut mit den Nachbarn leben, Müll trennen, ethisch halbwegs korrekt leben. Mein Gott, sind wir nicht alle unfassbar überfordert und würden uns am liebsten als Dauerzustand an einem lauen Sommerabend auf eine schattige Bank im Wald setzen oder Winterschlaf am Ofen halten,  und all das einfach vergessen und nur atmen?

 

Angst umgibt uns. Deshalb legen wir Vorräte an. Wir müssen etwas „haben“, nur dann fühlen wir uns berechtigt zu „sein“. Das ist ein Irrtum. Wir waren nämlich zuerst, lange bevor wir etwas hatten. Da die Zukunft Angst macht, treffen wir Vorsorge, wir versuchen sogar, Zeit zu horten, denn Zeit ist kostbar. Die Zeit ist kurz. Schreibt Paulus. Und unsere Sprache verrät uns. Dinge kosten Zeit. Menschen kosten Zeit. Zeit ist Geld. Ich habe Zeit. Dazu reicht die Zeit nicht.

 

Dabei wollen wir doch im Grund „nur“ sein. Anders sein. Das aber verschieben wir ständig auf später. Nicht mehr hetzen, nicht mehr funktionieren, dafür lachen, leben, lieben, spielen, tanzen, feiern. Menschsein ohne Ballast.

 

Die Zeit ist kurz, aber sie begegnet uns. Jetzt in diesem Moment. Hier und jetzt.

 

„Guten Tag. Ich will mein Leben zurück“. Singt Judith von der Band „Wir sind Helden“.

 

Meine Stimme gegen dein Mobiltelefon. Meine Zähne gegen die von Dr. Best und Sohn.  Tausche blödes altes Leben gegen neue Version? Ich will mein Leben zurück.

 

Nicht mehr tauschen, nicht mehr betrogen werden, von all den Betrügereien, die uns Glück versprechen und leiden lassen. Echt sein. Echt leben. Lebendige Worte, keine Sprachnachrichten, handfeste Arbeit, die Schwielen bringt. Haare, die zu lassen wehtut. Echtes Leben leben, das schmerzt, aber gleichzeitig kraftvoll ist, weil es wagt, falsche Sicherheiten loszulassen und der Sehnsucht der Herzen sperrangelweit die Tür öffnet.

 

Nicht mehr warten auf eine Zukunft, die vielleicht kommt. „Genieße das Leben, es ist später als du denkst“. Ein Sprichwort aus China. Oder das berühmte „Carpe diem“. Nutze den Tag. Weil das Leben nicht menschengemacht-perfekt ist, dafür durchdrungen von Gottes Vollkommenheit. Weil Vertrauen, diese Kraft, die Gott mir schenkt, mich in meiner Schwachheit stark sein lässt. Ich will ein Leben leben, das nicht unendlich ist, aber ewig. Die Zeit ist kurz, aber sie soll bitte mit Leben getränkt sein, das mich verändert, mich erfahren lässt, wie nahe mir Gott ist.

 

Davon spricht Paulus. Neues Leben, über das er nicht verfügt, aber das seine Kraft erhält und genährt wird, von einer Hoffnung auf eine Zukunft, die einfach auf uns zukommt, weil es Gottes Zukunft ist. Für Paulus ist klar. Bald, ganz bald. Wird die Welt sich umdrehen. Eine andere werden. Eine andere. Denn das Wesen der Welt vergeht… Sehnen wir uns nicht täglich danach bei all dem Leid auf allen Kanälen? Zurück auf Anfang. Weg mit dem Kram. Echtes Brot, handgemachte Socken, ein Liebesbrief auf Papier. Nichts mehr wegwerfen. Da ist dieser Spalt zwischen Oberfläche und Tiefe. Sein. Nicht vor allem und von allem was haben.

 

…diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. (Luther 2017)

 

Verliert euch nicht an diese Welt, auch wenn ihr in ihr lebt. (Hoffnung für alle)

 

Paulus ist überzeugt. Er hat keine Zeit. Aber es gibt eine Zukunft.  Und das für alle Welt. Er ist voller Vorfreude. Er bekommt von diesem Leuchten aus der Ewigkeit die Kraft, sich Zeit zu lassen, Zeit zu nehmen, loszulassen. Zu haben, als hätte er nicht. Zu weinen, als weinte er nicht. Zu lachen, als lachte er nicht.  Er liebt im Hier und Heute als Vorübergehender.

 

Keine Zeit haben, heißt für Paulus, nicht zu horten.  Kein Sonderangebot im Vorbeigehen. Nicht der Versuch von billiger Gelassenheit an den Grabbeltischen dieser Zeit.

 

Ganz gelassen loslassen.  Dafür eintauchen in das was Leben ist. Reden, bis uns die Stimme versagt.  Oder schweigen, weil alle Worte fehlen. Uns die Hände aneinander dreckig machen und am Ende die Hände, die Fäuste öffnen, um die Hand reichen zu können. Das kostet Zeit, Kraft, Vertrauen. Paulus ging von der nahen Wiederkunft Jesu aus. Wir wissen nun mehr. Es sind viele Jahrhunderte vergangen. Unser Zeitbegriff beißt sich mit dem von Gottes Ewigkeit.  Wir scheinen zu ahnen, dass wir alle Zeit der Welt haben. Manchmal leben wir sogar, als hätten wir ein zweites Leben im Keller oder müssten es nur einkaufen. Dem ist nicht so.

 

Über die  spannenden und provozierenden Sätze freilich „auch sollen die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine“ oder: Deshalb sollen sich jetzt auch die Verheirateten so für den Herrn einsetzen, als wären sie nicht verheiratet,   haben sich schon viele gelehrte Menschen den Kopf zerbrochen. Wie jetzt? Soll ich ohne Rücksicht auf Verluste, einfach mal auf Teufel komm raus, und dann kommt der Teufel raus, mich in Stuttgart auf die Königsstraße stellen und das Ende der Welt verkündigen? Ist doch egal, wenn sich, die mir angetraute Frau daheim die Augen ausweint, weil ihr die Last der Welt so sehr zu schaffen macht?  Das haben schon einige ausprobiert. Ohne Frage. Das ist im besten Fall lieblos und dumm, im schlimmsten Fall vielleicht sogar Gott und seinem Wort, aus blindem Ehrgeiz gelästert. Weil man glaubt zu wissen, was für Gott mehr zählt. Missionieren, nicht die Straße kehren… Plakate malen, anstatt zu umarmen. Und wenn nicht? Um es nicht noch komplizierter zu machen:

 

 Was bedeutet es für mich, zu leben, als wäre ich ledig, frei und ungebunden? Darüber habe ich sehr viel nachgedacht. Unser viertes und jüngstes Kind ist am vergangenen Montag zum Studium nach Tübingen gezogen. 27 Jahre und zwei Wochen, immer mit ein bis vier Kindern im Haushalt sind Geschichte.  Jetzt verlangen „nur noch“ die Katzen ihr Futter…Dienstagmorgen. Startschuss in ein anderes Leben? Klar, es gibt viel zu tun. Die Verlage hätten gerne neue Texte, die Dachfenster sind schmutzig. Meine Aufgaben im Tierschutz enden nie.  Aber nein. Was ist jetzt dran? Was kann ich mir hier und heute einfach leisten? Mit ein paar Tränen in den Augen gehe ich in den Wald. Umarme eine alte Eiche. Beobachte ein Reh. Blicke zum Himmel. Befehle meine Kinder guten Mächten an. Beginne ein Gespräch mit meinem Engel. Ich komme heim und es ruft niemand „Mama, wann ist das Essen fertig?“. Das tut weh. Das ist schön. Zeit als Geschenk. Ich habe und lebe jetzt ein wenig mehr davon für mich, und kann mit Paulus Paulus lesen.   

 

Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen; segnet, und verflucht sie nicht. Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach den hohen Dingen, sondern haltet euch zu den niedrigen. Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist es möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

 

Nicht nur um sich selbst weinen. Für andere, deren Tränen versiegt sind. Sich für den Nächsten freuen. Menschen nicht besitzen wollen, sie loslassen und lieben. Nicht hamstern, sondern der Freiheit Raum lassen. Nicht trauern weil etwas vergangen ist, lächeln über die Geschenke des Gewesenen und weitergehen.  Vertrauen üben, vertrauen in die Zukunft mit Gott haben. Sich frei fühlen und frei werden, um im hier und heute mit Jesus zu leben. Seiner Zukunft entgegengehen, die wie ein Leuchtfeuer in die Tage des Jahres 2018  scheint. Wir müssen nicht mehr warten.  Die Zeit ist kurz, aber erfüllt. Die Zeit ist kurz, aber es ist höchste Zeit, dass wir einander in Liebe und Dankbarkeit, in Demut und Güte, die Hände reichen. Die Zeit ist reif zu leben, wie Gott es gemeint hat.  Amen.     

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Cornelia Elke Schray, Eglingen

 

Mit Hilfe einer Vorlage von Pfrin. Dr. Frey-Anthes,  aus  den Pastoralblättern/Kreuzverlag  Oktober 2018